Roxelane
Frauen.
Weder Mirmah noch Nino wagten sich zu rühren, als Roxelane sich erhob und stumm das Zimmer verließ.
Noch eine Weile dauerte es, ehe Mirmah die Stille brach.
„Was wird die Mutter tun, Nino?“ fragte sie. „Was wird sie wählen?“
Nino gehörte zu Roxelanes frühen Gefährtinnen, und ein geringschätziger Blick traf die Tochter bei deren Frage.
„Ihre Hoheit wird natürlich die Verbannung wählen“, sagte Nino und zauderte keinen Augenblick mit der Antwort.
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Das ganze Reich nahm an den Schwierigkeiten der kaiserlichen Familie Anteil, und als nun einige der höchsten Würdenträger des Serails mit einem Hatti Scherif für Roxelane in Konstantinopel eintrafen, war die Hauptstadt natürlich sofort von dieser Neuigkeit erfüllt.
Fast schien es, als habe man die Nachricht vom großherrlichen Handschreiben absichtlich durchsickern lassen, so schnell hatte sie sich verbreitet.
Über den Inhalt freilich verlautete nichts Bestimmtes, was aber wiederum nur zu den kühnsten Mutmaßungen führte. Doch unter den hohen und höchsten Personen, die zur öffentlichen Verkündigung eine Einladung erhielten, bestand kein Zweifel darüber, daß die Urkunde die ehrenvolle Verbannung für Roxelane enthalte.
Sogleich begann man sich auch schon über ihre Nachfolge Gedanken zu machen, und die Frage tauchte ganz ernsthaft auf, ob Saffieje Sultanas Stern nicht noch einmal im Steigen sei. Als Mutter des Thronfolgers und künftige Walide konnte sie auf alle Fälle einen bevorzugten Platz beanspruchen.
Denn daß Roxelanes Söhne ihren Vater, den Kaiser, nicht überleben würden, stand für alle ernsthaften Menschen fest. Und für Roxelane war es das schlimmste, daß sie ebenfalls daran glauben mußte. Tage und Wochen hatte sie sich mit Selbstvorwürfen, die ihr kein geistlicher Berater abnehmen konnte, gequält.
Doch als sie sich dann endlich zum Erkennen der erbarmungslosen Wirklichkeit durchgerungen hatte, war es wie die Ruhe einer Abgeschiedenen über sie gekommen.
Denn nie hätte sie ihre Söhne dadurch retten können, daß sie sich durch Nachgeben erniedrigte. Und wenn sie jetzt geschlagen war, nachdem sie gekämpft hatte, so waren die Söhne darum nicht mehr gefährdet, als sie es nach dem Tode Mohammed Solimans ohnehin schon gewesen waren. Es war nichts verloren worden, was nicht schon verloren gewesen wäre. Außer ihrem eigenen Glück. Aber sie hätte nicht Roxelane sein müssen, hätte sie ihr eigenes Glück nicht gewagt. Immer wieder würde sie alles wagen für ihre Kinder.
An Soliman mochte sie nicht denken.
Zuweilen wußte sie nicht mehr, ob sie ihn überhaupt noch liebe.
Das war dann, wenn sie über seinen Wunschtraum von Orkhan und Alaeddin verächtlich lächelte. Was gewesen sei, komme nicht wieder, war ihre Überzeugung. Die Geschichte von Orkhan und Alaeddin werde sich mit Solimans Söhnen nicht erneuern. Dem stehe schon Saffieje im Wege.
Roxelane verwarf nichts so sehr wie die Unlust, unbequeme, aber handgreifliche Wirklichkeiten zu sehen, verachtete es, Worte zu geben, statt sich zur Pflicht und zur Tat aufzuraffen!
Manchmal spürte Roxelane auf diese Weise einen gesunden Haß gegen Soliman, und das waren noch ihre glücklichsten Stunden, weil sie sich sonst zu sehr nach ihm sehnte.
Vor dem Hof und den hohen Würden des Staats und des Gesetzes sollte der Hatti Scherif verkündet werden.
Zum Überbringer hatte Soliman den Bostandschi Baschi ernannt, was Roxelane ein bitteres Lächeln abnötigte, weil zu dessen Amtspflichten innerhalb des Serails auch die peinliche Gerichtsbarkeit und die Vollstreckung kaiserlicher Urteile gehörten. Zur Verlesung war allerdings der Chodscha, der Sultanslehrer, bestimmt worden. Außer dem Bostandschi Baschi waren aber noch drei hohe Eunuchen eingetroffen: der Kislar Aga, der Chasinedar Baschi, der zweite innere Aga und Schatzmeister, und vor allem der Chaßoda Baschi, der Vorstand der inneren Kammer, der Chaßoda nämlich, der Oberstgewandmeister und Siegelbewahrer des Sultans.
Diese drei erbaten sich vor der öffentlichen Verlesung des Handschreibens eine Privataudienz bei Roxelane.
Während die Garden und Palastwachen bereits aufgezogen waren und die unteren und mittleren Hofchargen sich auf ihre Posten begeben hatten, um die vorfahrenden Prinzessinnen und die hohe Geistlichkeit zu empfangen, ließ Roxelane die Großeunuchen in ihren Andachtsraum treten.
Die Wahl des Zimmers deutete auf die Gesinnung der Sultana, und ein Gespräch wollte unter den
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