Roxelane
mit 414 einem dieser abendländischen Barbarenkönige zu vergleichen“, entgegnete sie daher etwas spitz. „Auch mir ist bekannt, daß noch niemals ein Padischah sich am Leben oder der Freiheit einer seiner Frauen vergriff. Ein so schändliches Verbrechen gab es in unserem Hause nicht. Allah sei Dank! Ich meinte auch nur, die Lage Eurer Hoheit sei gefährdet, nicht Ihr Leben, das dem Vater gewiß nicht minder kostbar ist als uns.“
Roxelane erkannte sofort, daß sie in ihrer Bitterkeit zu weit gegangen sei. Aber in keinem ihrer Kämpfe, die sie im Laufe ihres Lebens zu bestehen gehabt hatte, waren ihr so schmerzhafte Wunden geschlagen worden wie in diesem. Sie kämpfte gegen das Liebste, was sie besaß -was sie besessen hatte, war ihr stilles Bangen.
In schlaflosen Nächten überwältigte sie die Sehnsucht nach Soliman oft so sehr, daß sie stöhnend den Kopf in die Kissen ihres freudlosen Lagers vergrub. Nur seinen Atem hätte sie hören, seine Hand fühlen mögen. Es war ihr stets ein friedvolles, wunschloses Glück gewesen, wenn seine Hand nachts ihre gesucht und sie umschlossen hatte. Alles war dann abgefallen, nichts war gewesen als sie und er, und die Nacht hatte sie überwölbt.
Sie liebte Soliman wie nur je, und doch klang hart, was sie sprach. „Meine Lage?“ fragte sie. „Vielleicht wünscht dein Vater mein Köschk, das er mir einst schenkte. Ich gestehe, daß ich an diesem Haus hänge. Denn dich und deine Brüder habe ich hier geboren. Aber wenn Seine Majestät eine von ihm Erwählte damit zu beehren wünscht...“ „Aber Mutter!“ rief Mirmah. „So etwas würde der Vater nie tun!“ „Mein Köschk weggeben?“
„Eine andere nehmen! Das würde der Vater nicht tun!“
Wie so viele Menschen lehnte auch Mirmah es mit Scham und Empörung ab, sich ihre Eltern als Geschlechtswesen zu denken. Roxelane aber bekam Herzklopfen darüber, daß auch Mirmah offenbar von keiner anderen Frau wußte. Es hätte ja immerhin sein können, daß ein Eilbote Rustems schneller angekommen wäre als Roxelanes eigene Kuriere.
„Ich wüßte nicht, warum dein Vater sich dann den Harem hat nachkommen lassen“, meinte sie dennoch; aber innerlich war sie wesentlich erleichtert. „Und was das Köschk anlangt, so suchte man mich auf dem Umweg über meine Dairah für einen freiwilligen Rücktritt zu gewinnen. Sogar bezahlen wollte man mich dafür.“
„Wirklich?“ wunderte sich Mirmah. „Und was taten Sie?“
„Ich ließ den Makler an die kaiserliche Palastverwaltung weisen.“ Jetzt regte sich Nino.
„Wenn ich mir einen Hinweis erlauben darf“, sagte sie, „so könnte vielleicht Saffieje Sultana die Urheberin der Anfrage sein? Ihre Hoheit soll schon einmal viel früher den Wunsch gehegt haben, das Köschk Hebetullah zu bewohnen.“
Saffieje Sultana war schon einige Wodien in Konstantinopel und lebte mit ihren Schwägerinnen Tamara und Esma im Alten Serail oder, wie die erboste Mirmah das in unbewachten Augenblicken nannte, drei Giftkröten hockten dort zusammen. Es war daher nicht ausgeschlossen, daß Nino Hanum mit ihrer Vermutung auf dem rechten Wege sei. Denn daß Saffieje trotz vielem Botengeld für Eingaben nach Adrianopel noch immer keine Audienz erlangt hatte, ließ ganz darauf schließen, daß sie sich einstweilen auf andere Weise eine Gelegenheit zur Betätigung ihres Hasses gegen Roxelane gesucht habe.
„Geben Sie nach, liebe Mutter“, bat Mirmah leise. „Versöhnen Sie sich mit dem Vater, und alles hat ein Ende."
Daß die Versöhnung nur von Roxelane abhinge - daran zweifelte ihre Tochter keinen Augenblick.
„Du, meine fromme Tochter, sagst mir das?“ spottete aber die Mutter ganz ohne Mitleid. „Eure Hoheit sollten Ihren Imam befragen, der auch der meine ist. Oder gehören Eure Hoheit zu diesen Frommen, die Allahs Geboten mit aller Strenge anhängen, wenn es sich um die andern handelt - die es aber mit den Übertretungen nicht so genau nehmen, wenn die eigenen Interessen berührt werden? Bisher habe Ich freilich nur solche und keine anderen Frommen erlebt. Dennoch tut es mir leid, dich, meine Tochter, unter der Menge zu finden." Mirmah fühlte sich geschlagen. Trotzdem brach durch all ihren Ärger in diesem Augenblick wieder Bewunderung für die Mutter bei ihr durch.
Roxelane hatte ihren Scheitel nur mit den. aufgesteckten schweren
Flechten überhöht. Sie trug weder Talpotsch noch Schmuck, allein die weiße Haut von Hals, Gesicht und Armen leuchtete aus ihrem schwarzen Gewand.
„Aber
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