Roxelane
Unzeit in aller Wirklichkeit erschien.
„Die Gouvernante ist hier“, meldete sich Dede Semid, indes die Hofmeisterin sie weit weg ans andere Ende der Welt wünschte.
Doch im Herbeieilen noch hatte Dede Semid deren letzte Worte vernommen. Und nun stand sie kampfbereit und gleichsam mit gesträubtem Gefieder vor der Verstummenden.
„Gouvernante bin ich“, erklärte sie, „wenn Euere Hochachtbarkeit das damit sagen wollten; aber nicht von dieser Dame bin ich es, der Seine kaiserliche Majestät den Rang und den Titel einer Hanum verliehen haben. Bei Roxelane Hanum bin ich dasselbe, was Euere Hochachtbarkeit bei Ihrer Hoheit sind, eine Dienerin, nichts weiter.“
Wenn Roxelane verlor, war sie auch verloren.
Doch Roxelane schöpfte aus der Tapferkeit ihrer Freundin ebenfalls Mut. Sie gab sich noch keineswegs auf. Im Gegenteil! Plötzlich wußte sie sogar, warum sie sich stumm und ohne Widerspruch hatte schlagen lassen.
Und nun griff sie an!
„Lassen Sie den Kislar Aga fragen“, befahl sie Dede Semid, „wann Seine Exzellenz bereit sei, die kaiserlichen Geschenke an mich wieder zurückzunehmen. “
Selbst Dede Semid verschlug dieser Befehl den Atem.
Kein Mensch konnte sich erinnern, daß jemals etwas Ähnliches geschehen sei.
Roxelanes Absicht war eine Beleidigung des Kaisers oder ein Protest. Als was sie zu gelten habe - darüber konnte nur einer entscheiden: der Herr selbst.
Tod oder Verbannung gegen wen auch immer konnte, ja mußte die Folge sein. Und das war für alle Beteiligten mißlich, auch dann, wenn Roxelane das schwarze Los ziehen würde. Woran übrigens weder Saffieje noch ihr Gefolge zweifelten. Konnte denn der Kaiser die Mutter seines Sohnes überhaupt ins Unrecht setzen? Doch was auch geschehen würde, immer bliebe es an Saffieje Sultana wie ein Schatten hängen, die Ursache einer unerfreulichen Maßnahme gewesen zu sein.
Ihre Hofmeisterin wandte sich denn auch als erste an Roxelane: „Sie werden sich Ihren Schritt noch überlegen, mein Kind“, warnte sie in ganz neuen, mütterlichen Tönen.
Selbst brauchte Roxelane jedoch nichts zu erwidern, weil das Beig Hanum für sie besorgte.
Bisher hatte sich diese Dame ausschließlich damit beschäftigt, den wütenden Mustafa zu bändigen. Doch jetzt machte sie zu den Vorgängen eine ihrer Bemerkungen, die so gefürchtet waren, weil sie immer aus ihrer so ganz anderen Welt der Rinder, Schafe und Pferde kamen.
„Lassen Sie das nur gehen“, sagte sie und meinte das Mädchen Roxelane. „Das stimmen Sie doch nicht um. Und weil es sich nicht wehrte, müssen Sie nicht gleich denken, es sei feig. Es paßt nur nicht hierher. Im Sattel müßte das sein! Und ganz sicher wäre das gut zu den Tieren.“
Eine weitere Vertiefung erfuhren Beig Hanums Beziehungen zu Roxelane allerdings nicht, obwohl Beig ihr noch manches über Schenkelschluß, lockere Zügelführung und darüber anzuvertrauen gehabt hätte, wie doch gewöhnliche Menschen so gar nichts von der Verständigkeit einer guten und anständigen Kuh wissen.
Doch Sultana Saffieje unterbrach das Gespräch, das so aufschlußreich hätte werden können, durch ihren allzu vorzeitigen Aufbruch.
Und da mußten alle Damen ihr folgen.
Auch Beig.
„Willst du es wirklich ...?“ fragte Dede Semid, als sie mit Roxelane allein war.
Eine Antwort freilich bekam sie nicht. Und auch keinen Blick. „Verschaffe mir schwarze Kleider“, sagte Roxelane nur, „ganz gleich, wo du sie hernimmst, nur schwarz - Kleider, Schleier, Schuhe.“ „Wozu .. .?“ erstaunte Dede Semid.
Roxelane aber nahm ihre Hände von ihren Brüsten, und die bluteten wie ihr Gesicht. Aber in ihre Brüste hatte sie die eigenen Nägel eingegraben. Um sie nicht Saffieje ins Gesicht krallen zu müssen, hatte sie das getan. Dede Semid sah es und war überzeugt.
„Ich sehe, du mußt es tun“, sagte sie. „Und dann sollst du auch Trauer anlegen. Aber nicht nur du, sondern alle, die dich lieb haben.“
Und das waren außer Dede Semid immer noch Nino und Umma, die Magd.
Vier Gestalten rauschten also in schwarzen Mänteln, die Gesichter verhüllt, wie eine düster drohende Wolke durch des Harems fast überirdischen Glanz.
Staunendes Geflüster wirbelte hinter ihnen auf, lief vor ihnen her. Und so gelangte Roxelane als ein lebender Protest über Gänge und Stiegen zum Kislar.
Auch Lokman Aga wollte ihr Zureden, Solimans Kette zu behalten. „Hanum, es geht nicht“, meinte er, „das Wort des Kaisers ist wie das Schicksal. Was er getan hat,
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