Roxelane
gebeugt, mit der gut beleuchteten flammenden Narbe auf ihrer Wange und einer einsamen Träne, die beredter war als alles Schluchzen - da hätten ihr nur wenige Männer widerstanden.
Und zu diesen Männern gehörte Soliman nicht.
Mit Entsetzen erblickte Saffieje, wie der Zorn auf Roxelane von seinem Antlitz wich. Und tatsächlich quoll auch ein Mitleid in ihm auf, das ihn völlig erfüllte. Uferlose Zärtlichkeit und wilder Drang zu beschützen wohnten diesem Mitleid inne, der Drang, Roxelane zu beschützen.
„Wer hat das getan?“ fragte er.
Roxelane schwieg. Alle schwiegen.
„Wer hat das getan?!“ wiederholte Soliman.
„Ich!“ sagte Saffieje und trat ihrem Gatten entgegen.
Mit ihrem ganzen Leibe und ihrer ganzen Seele fühlte Roxelane mehr noch als sie es wußte, daß es jetzt um die große Entscheidung ihres Lebens gehe.
Sie fühlte den Willen und den Glauben der Menschen um sie herum sich scheiden, sich bekämpfen, sich verbünden, fühlte, wie ihr von Dede Semid Hilfe kam und wie der Glaube der Freundin den von anderen ihr gewann.
Selbst aber tat sie nichts und stand nur stumm inmitten des Raumes, scheinbar ohne Willen und nur der Gegenstand, über den verhandelt wurde.
Und sie wollte doch.
Sie wollte Soliman, wie Saffieje ihn wollte. Und so war es in Wirklichkeit Soliman, um den zwischen ihr und Saffieje gekämpft wurde. Fast körperhaft empfand sie sich in diesem Kampf von den geheim-nisvollen Kräften umringt, die Mohammed die Dschinn nannte, Geister, aber Untertanen Allahs auch sie. Roxelane zog sie an sich, sog sie auf und schleuderte sie als unbändige Willenskraft wieder aus sich
heraus.
Sie wollte Soliman und wollte ihn für sich allein. Dieser Wunsch war unabänderlich und so stark, daß nichts anderes ihn abschwächen konnte.
Dennoch war dies andere da: die Achtung vor der Gegnerin, die ihr Leben verteidigte, die Scham über ihr eigenes Spiel mit den Narben. Aber ungeschehen hätte sie es nicht machen wollen. Sie stand im Kampf und konnte ihre Waffen nicht wegwerfen. Sie hatte keine anderen.
Und so war es denn weiser, stumm zu sein als zu reden.
Saffieje aber konnte ihre Kräfte nicht in sich versammeln, um sie dann erst wirken zu lassen. Ihre Leidenschaft war nicht stark genug. Sie konnte nicht schweigen. Ihre Leidenschaft mußte heraus. Und daher sprach Saffieje.
Sie sprach von der Närrin, die keine sei, die den kleinen Prinzen zu unanständigen Spielen verlocke. Von unerlaubten Künsten sprach sie, die dabei gebraucht werden, und zuletzt nannte sie Roxelane geradezu eine Hexe.
In der Christenheit hätte ein solcher Vorwurf tödlich wirken können. Über den Beherrscher der Gläubigen vermochte er nichts.
„Jeder vom Islam Erleuchtete weiß“, sagte Soliman, „daß es Allahs Sache ist, wenn er dem einen mehr geben will als dem andern.“
„Eine Hexe!“ grollte Saffieje.
„Wußten Eure Hoheit nicht“, fragte Soliman, „daß ich die Dame, die Sie eine Hexe nennen, erhöht habe? Als Sie die Hanum schlugen, trafen Sie mich.“
Wie sehr hatte er noch vor wenig Zeit gebangt, sein kaiserliches Ansehen behaupten zu müssen, und wie schnell bediente er sich jetzt dieser Ausflucht!
Da stand, mit allem geschmückt, eine zornige, leidenschaftliche Königin vor ihm - sollte ihretwegen ein Mädchen in Trauer weinen? „Soliman . ..“, sagte Saffieje, und das war ein Flehen.
Er aber hob beide Hände mit den Innenflächen gegen sie, und das war das Zeichen einer unwiderruflichen Entlassung.
Es war das Zeichen, daß der Kislar Aga und die Kiajai Harem Ihrer Hoheit unter die Achsel griffen, was eine Gebärde der Ehrfurcht, aber auch so gut wie eine Verhaftung war.
Für die Spanne eines Atemzuges sah es aus, als wolle sich Saffieje ihrem Herrn zu Füßen werfen. Es war nur für die Zeit eines Blitzes. Aber sie reichte hin, dem Manne mit seinem Zorn auch seine Unverwundbarkeit zu nehmen.
Saffieje litt.
Sie war die Mutter seines Sohnes, die Gefährtin vieler Tage und Nächte. Nun litt sie um ihn, und das machte ihn traurig.
Und Roxelane machte es traurig.
Denn in diesem Augenblick konnte Soliman nichts fühlen, was sie nicht mitempfunden hätte. Sie hatte gesiegt. Auf dem Gipfel ihres Triumphs jedoch traf sie wie ihn ein Schmerz. Roxelane konnte ihre Feindin nicht hassen.
Für beide war es gut, daß Saffieje sich aufraffte und mit ihrem letzten Stolz und ihrer letzten Kraft das Zimmer verließ.
Ein Wink Solimans genügte, daß alle ihr folgten.
Alle waren Saffieje gefolgt,
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