Roxelane
Exzellenz!“
Lokman stellte diesen Vorwürfen sein undurchdringlichstes Gesicht entgegen.
Er gehörte Hafsa Chatun. Die war einmalig für ihn und nicht nur als Sultana Walide. Und er gehörte Soliman, ihrem Sohn, den er -damals schon Kislar Aga - vor achtundzwanzig Jahren auf seinen Armen Sultan Selim entgegengetragen hatte. Aber eine Sultana-Gefährtin, und sei es eine Chasseki, war nicht einmalig. Sie konnte gezwungen werden zu teilen, sie konnte verdrängt werden, sie konnte einer andern Platz machen müssen.
Seit der Lahme Timur, Tamerlan der Mongole, Solimans Vorfahren Bajesid den Ersten besiegt und dessen rechtmäßige Ehefrau, eine sorbische Prinzessin, gezwungen hatte, an der Männertafel zu erscheinen, zogen die Sultane es vor, möglichst nicht zu heiraten.
Auf diese Weise wollten sie die Wiederholung einer Schmach verhüten, wie sie Bajesid Jilderim, dem Blitz, widerfahren sei. Mochten die Damen, die das Bett des Sultans teilten, auch noch so hochgestellt sein - sie blieben immer ,unter der Hand' ihres Herrn, blieben Beischläferinnen, unfrei und das Eigentum Seiner Majestät. - Selbst für eine Chasseki also setzte Lokman seinen Kopf nicht aufs Spiel. Hätte er den Kaiser hintergangen, wie es Saffieje Sultana von ihm verlangte, säße er jetzt vielleicht schon beim Bostandschi Baschi, bei dem Manne, dem nicht nur das Korps der zweitausendfünfhundert Bostandschi, nämlich der Palastgärtner und Wächter, nicht nur alle Paläste, die Jagd und alle Lustboote bis zur kaiserlichen Galeere unterstanden, sondern dem auch weniger heitere Aufgaben anvertraut waren.
Der Bostandschi Baschi mußte die peinliche Befragung vornehmen lassen, wenn die Anschuldigung sich gegen jemand richtete, der dem Serail angehörte, und ihm lag die Hinrichtung aller großen Persönlichkeiten ob, die sich des gleichen Vorzugs rühmen durften.
Der Kislar Aga aber erfreute sich in der Tat einer so bevorzugten Stellung, und er verspürte keine Lust auf das gefürchtete Zimmer beim Bostandschi Baschi. aus dem herauszukommen es für Würdenträger vom Range des Kislars nur drei Möglichkeiten gab. Der häufigste Fall war, daß sie es als Leichen verließen. Seltener geschah es schon, daß sie ihre Ernennung zum Beglerbey, zum Generalstatthalter einer entfernten Provinz, erhielten oder auch auf eine weniger höfliche Art verbannt wurden. Kaum jemals kehrten sie wieder in ihre bisherigen Stellungen zurück.
Lokman Aga hatte die Siebzig überschritten, und seit dreißig Jahren war er Kislar. Warum sollte er gefährden, was er besaß, um vielleicht aus jenem Zimmer der Erwartung mit den Füßen voran hinausgetragen zu werden?
Er schreckte auf.
Was hatte die Sultana gesagt?
„Ich gehe“, hatte sie erklärt.
„Unmöglich!“ griff er ein; denn auch in diesem Fall ging es um seinen Kopf.
Außerdem dachte er an die Sultana Walide, und es war tatsächlich die einzige Chance, die deren begünstigter Schwiegertochter noch blieb: Saffieje Sultana mußte sich Soliman stellen und den Kampf ausfechten, den sie selbst heraufbeschworen hatte.
„Eure Hoheit werden es verschmähen, einer Begegnung auszuweichen, die notwendig geworden ist“, fügte Lokman ernst hinzu.
Und feige war Saffieje durchaus nicht. Und ihrer Schönheit war sie sich ebenfalls bewußt. Wenn es daher so stehe, daß selbst der Kislar schon an ihr zweifele — dann wolle sie bleiben. In diesem Augenblick dachte sie weniger an Soliman als daran, wie sie nach dem Sieg mit ihren Widersachern verfahren würde.
Es war der Augenblick von Solimans Eintritt.
Seine Backenknochen zitterten vor verhaltener Erregung, aber trotzdem begrüßte er seine Chasseki mit beherrschter Stimme.
Sie hatte Solimans Besuch erwartet und zum Zeichen, daß sie des Padischahs sei, die kaiserliche Farbe gewählt. Einen Kaftan aus grünem silberunterlegtem Brokat mit weiten hermelingefütterten Ärmeln trug sie. Kein Gürtel unterbrach die von einer durchlaufenden Biese gestreckte Linie. Jaspisreifen umklirrten die herrischen Füße, über denen sich hellgraue Hosen bauschten. Um die nackten Unterarme schlangen sich Rubine, und das blauschwarze Haar krönte eine Großfürstinnen-Mitra aus Moskau, ein Geschenk des Wassilji Johannowitsch, durch das sich der Eroberer Astrachans an ihr eine Freundin hatte erwerben wollen.
Und diese Frau habe auf Soliman warten müssen! wunderte sich der Kislar, der sich doch auf Frauen zu verstehen glaubte.
Weswegen?
Wegen eines Tatarenmädchens aus Bagdscheserai!
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