Roxelane
ungeschriebenen Gesetz - war ihnen nichts unerreichbar gewesen. Regenten und Feldherren und oft beides waren sie geworden, auch große Höflinge, Kirchenfürsten und Patriarchen, und selten war das Reich schlecht gefahren, wenn sie die Lenkung gehabt hatten.
Die ,Engel‘ hatte man sie in Byzanz genannt.
Männer und doch keine, weil ihnen die letzte Erfüllung ihres Ge-schlechts versagt war, hatten sie alle Kräfte den Aufgaben widmen können, die ihnen vom Schicksal gestellt worden waren. Auch der Gotenbesieger Narses war Eunuch gewesen.
Mochte aber der Koran die Entmannung verbieten, so war die Türkei doch in allem die Erbin von Byzanz. Und es sei Barbarenart, dachte Hafsa Chatun, nichts verstehen zu wollen als sich selbst. Deswegen hätte sie sich jedoch niemals ein anderes Los als das einer Gattin und Mutter gewünscht. Wenn sie auch die Gluckenliebe ihrer Dschanfeda für Mustafa Pascha wenig damenhaft fand und die Art, wie Tamara den Draufgänger Ferhad fest am Zügel zu halten trachtete, weit mehr schätzte, so stimmten doch Mutter und Töchter in der Hauptsache überein: daß eine Frau Kinder haben müsse.
Auch der großen Sultana Hafsa Chatun erschien eine Frau erst als Mutter wahrhaft schön.
Und als Mittel zur Mutterschaft war ihr der Mann willkommen. Trotzdem behielt der unverschnittene, bärtige Mann für sie immer etwas Tierhaftes, was sie manchmal als reizvoll empfunden hatte, was ihr zuweilen aber auch schon recht lästig geworden war. Die Erinnerungen der schönen Frau an weiland Sultan Selim waren keineswegs ungetrübt. Und daraus schöpfte sie ihre gewisse Zuversicht, daß es die Aufgabe einer jeden Frau sei, ihren Mann erst einmal zu zähmen, dieses unberechenbare Wesen, den Sklaven seiner ungeklärten Begierden.
So hatte sie Selim gesehen, ihren Mann, und so sah sie Soliman, ihren Sohn. Jedenfalls sah sie ihn so nach seiner ihr unverständlichen Bindung an Roxelane.
Doch glücklicherweise wisse ihr Sohn immer noch, was er seiner Mutter schuldig sei, genoß sie ihren Triumph, und diese Gesandtschaft sei das günstigste Zeichen dafür, daß er zum kindlichen Gehorsam zurückkehre.
Inzwischen hatte Ferhad Pascha gesprochen, hatte Ihre kaiserliche Hoheit begrüßt, seine Begleiter vorgestellt, und darauf war der in wehende Schleier gehüllte Hatti Scherif hereingetragen worden. Hoch über seinem Kopf hatte der Tschausch ihn gehalten.
Jetzt nahm ihn der Pascha.
Das Schreiben selbst war wieder in Goldbrokat eingeschlagen, und der Lala der Walide bemerkte die Perlenschnur, die sich obendrein darum wand, nicht ohne Vergnügen, weil nämlich Umhüllung und Verschluß ihm für den Dienst des Öffnens zufallen mußten.
Ehe Ferhad aber dem Hofmeister als Hafsa Chatuns Vertreter das Schreiben reichte, führte er es erst an seine Stirn.
Dann löste der Lala die Schlinge und entnahm dem Brokat das Pergament.
Immer noch war der Edle Befehl durch ein Siegel verschlossen, das sich von den übrigen Siegeln des Padischahs unterschied. Die drei andern waren rund und waren das hohe Vorrecht des Großwesirs, der Obersthofmeisterin und des Oberstankleiders des Sultans. Dieses hier war viereckig und zeigte damit an, daß des Kaisers eigene Hände es ins Wachs gedrückt hatten.
Der Lala küßte das heilige Zeichen und erbrach es.
Dann entfaltete er den Brief, dem Solimans vergoldeter Namenszug vorangesetzt war, und verlas ihn.
Niemandem war der Inhalt bekannt, und doch waren im Grunde nur die wenigen neugierig, die hoffen durften, erwähnt zu werden. Was er sonst enthalten mochte, glaubte jeder im voraus zu wissen: eine Anrufung Allahs des Höchsten, Segenswünsche über die Walide, eine prunkvolle Schilderung der Kämpfe und des Sieges ...
Alles geschah so, wie es vorauszusehen gewesen war.
Und nun hätte die Ankündigung der kaiserlichen Rückkehr kommen müssen.
Sie erfolgte auch.
Vorher jedoch verlas der Lala einen Satz, der so unerwartet kam, daß alle die größte Mühe hatten, ihre Überraschung zu verbergen. Der Satz traf die Walide, die er jäh aus allen Träumen von einem geläuterten Soliman erweckte. Er traf Tamara und Ferhad, die ihr Großwesirat verschwinden und einen neuen Nebenbuhler auftauchen sahen. Er traf alle Prinzessinnen, weil sie offenbar eine falsche Partei ergriffen hatten. Und er traf schließlich auch die kleine Esma, die mit unbewegtem Gesicht, aber bis zum Bersten mit Glückseligkeit erfüllt, in sich hinein betete: „Oh, Churrem, Liebe! Wie ich dir danke! Nie werde ich
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