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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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dasselbe.
    Blueberry Harbor lag fast eine Stunde südlich von Crow’s Nest Harbor, in unserer Richtung.
    »Wenn du hinfährst, will ich mit«, sagte ich. Mir rauschte das Blut in den Ohren.
    »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, sagte Daddy.
    »Ich komme mit.«
    Später an dem Nachmittag fuhr Parker uns nach Blueberry Harbor. Wir betraten die kleine Polizeiwache und wurden in das Büro eines Detective Pratt geführt. Detective Pratt schien ungefähr in Daddys Alter zu sein. Die Haut um seinen Mund war faltig. Auf seiner Nase waren lauter große Poren, und aus seinen Nasenlöchern lugten schwarze Haare hervor. Auf der Stirn zwischen seinen wässrig braunen Augen hatte sich eine tiefe Furche eingegraben.
    Er gab Parker und Daddy die Hand und nickte mir zu. »Junge Dame.« Dann setzten wir uns alle um einen kleinen runden Tisch. Er griff hinter sich und holte eine durchsichtige Plastiktüte hervor, in der sich Carlies Handtasche befand. Der »Inhalt«, wie Detective Pratt es nannte, war in einer anderen Tüte. Er öffnete die erste Tüte und legte die Handtasche vor uns auf den Tisch. Dann breitete er den »Inhalt« daneben aus. Carlies rote Brieftasche und ihr rotes Portemonnaie. Ihre kleine hellblaue Bürste. Kaugummi mit Nelkengeschmack und ein kleines weißes Taschentuch mit einem aufgestickten gelben »C« in der Ecke. Eine Puderdose mit Spiegel an der Innenseite. Ein Streichholzbriefchen mit der Aufschrift »Lobster Shack«. Ein Lippenstift in leuchtendem Rosa.
    Ich streckte die Hand nach ihrer Brieftasche aus. »Florine«, sagte Daddy.
    Ich sah Detective Pratt an. Er nickte, und ich nahm Carlies Brieftasche und klappte sie auf. Auf der linken Seite ein Fach für Wechselgeld, das Carlie nie benutzte, weil es zu klein war. Auf der rechten ein Foto hinter einer durchsichtigen Plastikfolie, auf dem drei Menschen zu sehen waren. Das Foto hatte Wasserflecken, aber ich konnte uns noch erkennen. Madeline Butts hatte das Bild unten am Kai aufgenommen, in dem Sommer, als ich zehn war, ein Jahr bevor Carlie verschwand. Daddy hatte das eine Knie gebeugt, und Carlie saß auf seinem Oberschenkel. Sie hielt mich vor sich in den Armen, und Daddy hatte die Arme um uns beide gelegt. »Das ist meine Frau«, sagte Daddy.
    Wir folgten Detective Pratts Wagen zu der Stelle, wo die Tasche gefunden worden war. Er führte uns über einen ausgetretenen, matschigen Weg in einen kleinen Wald oberhalb eines schneebedeckten Teichs.
    »Hier hat der Hund sie ausgegraben«, sagte er und zeigte auf einen kleinen, von Absperrband umgebenen Kreis. Überall lagen Erdbrocken, die der Hund beim Graben aufgewühlt hatte. Doch die Erdbrocken und die leere, flache Mulde, in der die Handtasche zwischen halb verrotteten Blättern gelegen hatte, interessierten mich nicht halb so sehr wie der zugefrorene Teich, und nach und nach wanderten sämtliche Blicke dorthin.
    »Sie ist nicht da unten«, sagte ich, aber meine Stimme schwankte.
    Daddy rief »Herrgott noch mal!« und packte sich an den Kopf. Er ging zu einer Birke und trat mit voller Wucht dagegen. »Warum zum Teufel muss meine Tochter sich über so was Gedanken machen?«, brüllte er in den Wald. Dann riss er sich zusammen und kam zu uns zurück. Ich schaute hinüber zu der Birke. Dort, wo er den Stamm getroffen hatte, war das rohe Holz zu sehen.
    »Ist schon gut, Daddy«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
    »Nein, verdammt noch mal, das ist es nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Nichts ist gut.«
    »Gleich am Montag suchen wir den Teich ab«, sagte Detective Pratt.
    Der Wind, der vom Teich herüberwehte, war mild für einen Februartag. Ein Blauhäher landete über mir auf einem Ast. Er legte den Kopf schief und musterte uns mit seinen wachen schwarzen Augen. Er stieß ein heiseres Krächzen aus, dann flog er davon, sein leuchtendes Gefieder ein schwirrender Farbklecks über dem Eis des Teichs.
    Im Auto auf dem Rückweg fragte Daddy Parker: »Was passiert jetzt?«
    »Jetzt versuchen wir rauszukriegen, warum die Handtasche da war, wo sie war«, sagte Parker. »Und wir warten ab, was bei der Durchsuchung des Teichs rauskommt.«
    »Sie ist nicht da unten«, sagte ich erneut. Ich weiß nicht, woher ich es wusste, aber ich wusste es. Der Teich war einfach einer aus der wachsenden Sammlung von Orten, an denen Carlie nicht war.

17
     
    Ich behielt recht. Sie fanden nichts in dem Teich. Die rätselhafte Spur weckte bei Daddy und mir neue Hoffnung. Ich verbannte die Schreckensszenarien

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