Rubinsteins Versteigerung
»Nix für ungut, Jonny, gell.«
Im Hausgang beginnt Rachel zu schluchzen. Ich drücke ihre Hand so fest, bis ich die Fingergelenke knacken fühle. »Reiß dich zusammen! Hör sofort auf zu weinen! Den Triumph werden wir diesen deutschen Schweinen nicht lassen!«
Ich bin wieder ruhig, kalt. Der Hass verleiht mir eine zuvor nie gekannte Kraft. Ich nehme Rachel fest in den Arm.
Auf der Straße hören wir Bergmanns Gemeckere vom Fenster Kraxäs. »Des Wichtigste habt ihr vergessn. Aaachtung … mit besten Empfehlungen des Hauses.« Rachels BH landet auf dem Pflaster. Ich schnappe ihn mir.
»Schaut her, der Rubinstein will eine Textilfirma eröffnen.«
»Mach deine Tasche auf und steck das Ding rein.« Ich weiß jetzt, ohne zu überlegen, was zu tun ist. »Komm, lass dir ja nichts anmerken vor diesen Schweinen.« Meine neu gewonnene Sicherheit hat sich auf Rachel übertragen, sie geht jetzt zügig mit mir weiter.
»Eines schwöre ich dir, das zahle ich den Kerlen heim. So was passiert mir nie wieder.« Das kraftlose Piepsen ist einer festen Stimme gewichen. »Lass uns das eine Lehre sein, Rachel. Wir Juden haben in diesem Drecksland nichts verloren. Solange wir hier hocken, geschieht es uns ganz recht, wenn wir so einen Mist erleben. Wir müssen nach Israel – alle. Und zwar schleunigst.«
»Du hast recht, Jonny.«
Na also. Endlich hat sie ihre Sprache wiedergefunden.
DER EWIGE JUDE
Die Vögel sind nicht wiederzuerkennen. Sonst lassen sie keinen Menschen auch nur einen halben Satz ausreden. Und jetzt sitzen sie und warten ungeduldig, aber diszipliniert, bis Feinberg endlich aufhört zu labern und der Generalsprechen wird. Diszipliniert! Siebzig bis achtzig Jidn zwischen vierzehn und Ende zwanzig, dazu noch zwei Dutzend Erwachsene – diszipliniert! Jeder deutsche Lehrer wäre stolz auf diesen – freiwilligen! – Dressurerfolg. Und das in der »Judenschule«. Heute herrscht allerdings Ausnahmezustand im »Maon«, dem jüdischen Freizeitheim in der Möhlstraße. Ein leibhaftiger General ist da. Nicht einfach ein General, nein, ein israelischer General. Noch dazu einer, der vor dem Krieg in München geboren wurde. General Almagor ging vor dem Krieg hier zur Schule, allerdings hieß er damals noch Isaak Gottesfürchter, wie Feinberg in seiner nicht enden wollenden Begrüßungsrede genüsslich bekanntgibt.
Moritz Feinberg, ehrenamtlicher Funktionär der »Zionistischen Organisation«, kostet die Situation sichtlich aus. Wann hat er schon Gelegenheit, einen »unserer Generäle« vorzustellen. Ausführlich vorzustellen, fast eine Stunde lang, ohne dass es jemand wagen könnte, ihm wie üblich ins Wort zu fallen. Aber im Beisein eines israelischen Generals? Wer wird sich vor dem General schon durch Disziplinlosigkeit blamieren wollen. Also hält man die Klappe und lässt notgedrungen Feinberg weiterschwafeln. Welches Pathos! Es ist wahrscheinlich tatsächlich einer der »erhebendsten Momente seines Lebens«. Offenbar nicht nur für Feinberg. Die gesamte »Zionistische Jugend Deutschlands«, Ortsverein München, scheint auf Almagors Schultern zu sitzen. Ihre Mienen verraten, dass sie Mühe haben, nicht aufzuspringen und sich mit den Fäusten gegen die Brust zu trommeln.
Der Kerl sitzt ganz ruhig da, während neben ihm Feinbergnoch immer tönt. Sieht auch gar nicht aus, wie man sich einen leibhaftigen General vorstellt. Relativ schmale Schultern, fein geschnittenes Gesicht, dunkelbraune Augen, lange schmale Lippen, auch die leicht gebogene Nase ist schmal. Die kurzen fleischigen Hände ruhen unbewegt auf dem Tisch. Das einzig Ungewöhnliche ist sein kerzengerader Scheitel. Komisch, ich kenne kaum einen Juden mit einem Scheitel und überhaupt keinen mit einem geraden. Disziplin!
Endlich! Feinberg ist fertig. Almagor erhebt sich. Der Bursche ist höchstens 1,70. Über der Brusttasche der olivgrünen Uniform prangen zwei Ordensspangen. In Israel habe ich nie einen Offizier mit seinen Auszeichnungen rumlaufen sehen. Wem will er imponieren?
Eine normale Tenorstimme ohne aufgesetzten Metallklang oder Geschnarre:
»Liebe Freunde,
ich freue mich, heute bei euch zu sein. Ich will keine lange Rede halten. Mich interessiert mehr, was ihr über Erez 1 Israel wissen wollt. Was ich weiß und beantworten kann, will ich euch gerne sagen.
Eine Sache liegt mir aber besonders am Herzen. Ihr wisst alle, was für einen Job wir in unserer Armee tun. Nicht weil wir den Krieg lieben, sondern weil wir uns verteidigen müssen. Und
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