Rubinsteins Versteigerung
angehängt. Und ich muss dirsagen, leider zu Recht. Herr im Himmel, was haben wir verbrochen, dass nach Jahrtausenden jüdischer Kultur zuerst die physische Vernichtung und jetzt die geistige Endlösung kommt: die Reduzierung des Judentums auf einen Stahlhelm.« Mottl hat sich in Rage geredet. Seine Wangen glühen. Aus dem Saal hören wir Singen. Mottl schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und schreit: »Gott, du Gerechter, jetzt sind sie nebbich vollkommen meschugge geworden. Die singen doch tatsächlich die Hatikva 3 . Das gibt es nicht einmal bei den verrückten Deutschen. Oder kannst du dir vorstellen, dass ein deutscher General von einer Versammlung mit dem Deutschlandlied verabschiedet wird? Du, Jonny, komm, sonst fang ich noch eine Rauferei an.« Mottl legt mir wieder den Arm um die Schulter und zieht mich zum Ausgang.
Was haben sie in Israel mit ihm angestellt? Wenn einer Idealist war, dann Mottl. Alle mussten ihn überreden, wenigstens das Abitur hier zu machen, ehe er ins Land seiner Träume ging. Wahrscheinlich hat er sich zu viel erträumt.
»Sag mal, Mottl, was hat dich dort so fertiggemacht, dass du zurück bist?«, rufe ich, sobald wir auf der Straße sind.
»Ja, das hab ich mich auch schon die ganze Zeit gefragt. Es ist kein einzelnes Ereignis gewesen. Die ganze Haltung von den Kerlen da unten: menschenverachtend! Genau wie dieser Generalsrotzer vorhin.«
»Und wo ist der Unterschied zu anderen Ländern? Stimmt, es ist Scheiße, Menschen mit Napalm in Panzernzu verbrennen. Aber wenn wir es nicht mit ihnen tun, dann machen sie es mit uns. Wie die Nazis!«
»Nichts! Ich will nicht bestreiten, dass sie vielleicht so werden mussten wie die anderen, sonst hätten sie wahrscheinlich nicht überlebt. Aber jetzt sind sie genau die gleichen Irrsinnigen.«
»Was hast du dir eigentlich vorgestellt, als du runter bist? Dass die Kerle dauernd Hosianna singen? Du sagst selber, dass ihnen nichts übrigbleibt.«
»Jonny-Leben,
ich
finde mich ja damit ab. Von mir aus stellen sie sich dort unten auf den Kopf – das ist ihre Sache. Aber bitte ohne Mordechai Bernstein.«
»Was ist hier besser?«
»Hier hab ich meine Ruhe. Hier machen sie Mist, und dort machen sie Mist. Aber wenn sie hier Mist machen, juckt mich das nicht, das ist nicht mein Volk und nicht mein Land. Und wenn es mir dennoch zu viel wird, dann sag ich’s eben, ob meine Meinung den Leuten passt oder nicht. In Israel dagegen sind es meine Leute und mein Staat – jedenfalls habe ich es mir zunächst eingebildet. Aber wehe, wenn du dort als Neueinwanderer sagst, dass dir etwas nicht passt: ›Sei froh, dass wir dich überhaupt aufnehmen, oder willst du weiter im Land der Nazis leben?‹ ›Schau diesen frechen Typen an. Statt dankbar zu sein, dass wir ihn aufnehmen, beschützen und ihm eine Ausbildung ermöglichen, stänkert er, kaum dass er hier ist.‹ ›Was passt dir eigentlich nicht? Wir mussten Sümpfe trockenlegen und Steine klopfen und uns mit Arabern rumschießen. Und jener kommt her, legt sich ins gemachte Bett und hat immer noch was auszusetzen.‹
Ich hab die Schnauze voll, diesen Idioten andauernd dankbar sein zu müssen. Wenn ich hier sage, dass mir etwas nicht gefällt, kommt kein Mensch auf die Idee, dass ich ständig dankbar sein muss.«
»Aber wenn hier nicht dein Land ist und Israel nicht dein Land ist, wo dann?«
»Nirgends! Ich bin der ewige Jude. Und du auch, Jonny, glaub es mir. Was ist daran so schlimm? Schau, was die ewigen Juden der Welt alles an kulturellen Werten gegeben haben. Und was haben die Israelis der Welt bisher gegeben? Einige neue strategische Varianten.« Mottl ist heiser vom eigenen Gebrüll.
»Aber als ewige Juden bleiben wir vom guten Willen unserer Umwelt abhängig. Und wann immer es einem Ignatius, einem Hitler oder Nasser einfällt, kann er uns abschlachten wie die Schafe.«
»Stimmt. Aber ich meine, wir müssen dieses Risiko eingehen. Es ist ein begrenztes Risiko – auch wenn es zynisch klingt. Da wir über den ganzen Erdball verteilt leben, verhalten wir uns wie ein vorsichtiger Kaufmann – da nennt man es Risikostreuung. Vielleicht ist es Gottes Wille oder der Überlebensinstinkt eines alten Volkes. Wir sind durch lokale Ausbrüche von Antisemitismus nicht auszurotten. Im Gegensatz zu so manchem selbstbewusstem ›Herrenvolk‹, das durch einen einzigen Krieg ausgelöscht wurde. Dieses Schicksal kann, Gott behüte, auch Israel eines Tages drohen. Wenn die nur einen Krieg verlieren, ist es
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