Rubinsteins Versteigerung
aus.«
»Du hast vielleicht recht. Aber ich persönlich ziehe die langweilige Normalität in Israel dem permanenten Masochismusin der Diaspora, besonders in Deutschland, vor. Ich will nicht mehr den Christen der Christen spielen und immer dann meine Wangen hinhalten, wenn es einem der Herrenvölker gerade passt, uns zu massakrieren.«
»Jonny-Leben, ich bin nur neugierig, ob du auch noch so sprichst, nachdem du einige Monate in Israel gelebt haben wirst. Wenn ja, dann bist du ein unkultivierter Schmock, das glaub ich einfach nicht, schließlich bist du mein bester Freund. Lass uns morgen Abend irgendwo ein Bier trinken gehen, sonst werde ich noch zum Antisemiten. Pst, nicht weitersagen, ich bin’s schon. So, und jetzt fahr ich heim. Ich bin nämlich todmüde.« Wir verabschieden uns. Mit schnellen Schritten seiner kurzen Beine marschiert Mottl zum Maximilianeum, wo er auf seine Tram wartet. Ich schlendere entlang der Isar nach Hause.
Muss ich werden wie Mottl, der sich in ›seiner‹ Kultur vergräbt und vor jeder Auseinandersetzung davonläuft, oder wie der General und seine Israelis, die genauso skrupellos geworden sind wie die anderen, oder wie Feinberg und Polzig, die in Deutschland hocken und sich als Zionisten fühlen? Kann man als Jude nirgends so leben, wie es einem passt – ohne verrückt oder krankhaft normal sein zu müssen?
GEWISSEN
»Esel, die Lage ist bitter.«
»Was hast du jetzt schon wieder ausgefressen?«
»Gar nichts. Nur in Franz sieht es äußerst mies aus.«
»Wieso? Hast du schon wieder in einer Klassenarbeit versagt?«
»Es hat den Anschein, dass ich in Franz eine Fünf bekomme.«
»Wieso?«
»Weil ich zwischen Vier und Fünf stehe und die alte Hexe Schneeberger mir eine Fünf geben will.«
»Hat sie es dir gesagt?«
»Nicht direkt, aber angedeutet.«
»Kannst du deshalb durchfliegen?«
»Davon allein nicht, aber ich glaube, dass ich mir auch eine Fünf in Mathe eingefangen habe. Wenn eine Fünf in Englisch dazukommt, bin ich geliefert.«
»Dann musst du dich eben anstrengen.«
»Lass uns gefälligst von den Tatsachen ausgehen und nicht von Wunschvorstellungen. Fakt ist, dass ich eine Fünf in Englisch habe, seit ich im Gymnasium bin.«
»Das heißt, dass du durchs Abitur fallen wirst. Weshalb musstest du denn auf die Oberschule? Hättest du ein Handwerk gelernt, wärst du ein Mensch geworden. Du bist schon 21, wie lange willst du noch zur Schule gehen?«
»Hättest, wärest, so kommen wir hier nicht weiter.«
»Hier musst du auch nicht weiterkommen, sondern in der Schule …«
»Jetzt halt mal gefälligst deine Klappe und hör eine Sekunde lang zu«, brülle ich. »Wir können die Fünf in Franz noch verhindern. Allerdings musst du mitspielen.«
»Ich?«
»Ja! Unglücklicherweise bist du der einzige Mensch, der die Fünf noch abwenden kann. Frag nicht schon wieder,sondern hör gefälligst zu! Es ist im Grunde ganz einfach. Die Schneeberger hat einen Nazi-Tick. Die sieht Braune, wo nicht einmal wir Jidn auf den Gedanken kämen. Sobald sie einen Nazi aufgespürt zu haben glaubt, geht sie auf ihn los wie eine Furie.«
»Und was hast du davon?«
»Sobald du deinen Mund hältst, wirst du es erfahren!«
Rubinstein, du musst dich beherrschen, sonst zieht sie unsere Auseinandersetzung bis zum Abend in die Länge, um auch Fred zu demonstrieren, wie unersetzbar sie ist. »Lass uns bitte in aller Ruhe über diese Angelegenheit unterhalten«, fordere ich unvermittelt mit ruhiger Stimme. Die Brüllerei hat mich wie fast immer erleichtert: »Vielleicht wäre nach der Mittelschule eine Lehre wirklich das Richtige für mich gewesen. Aber heute, nach einem Vorbereitungsjahr und drei Jahren Gymnasium, trennen mich nur noch wenige Monate vom Abitur – wenn alles gut geht, natürlich. Es ist daher in unser aller Interesse, wenn ich so bald wie möglich die Schule erfolgreich beenden kann.« Dieser Argumentation kann sie sich beim schlechtesten Willen nicht verschließen. »Der einzige Mensch, der jetzt verhindern kann, dass ich durchsause, bist nun mal du. Ob uns das passt oder nicht. Ich sage dir auch sofort, was du wissen musst.
Selbst die paranoide Schneeberger kann
mich
nicht als Nazi verdächtigen. Darauf beruht mein Plan. Du gehst zu ihr in die Sprechstunde und erkundigst dich nach meiner Franznote. Sagt sie Vier, ist alles in Butter. Du bedankst dich und fährst heim. Sagt sie aber Fünf, dann musst du eingreifen. Ausreden lassen!«, rufe ich, ehe sie antworten kann. »Du,
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