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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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liebe Esel, musst ihr dann deutlich machen, wiesehr unsere Familie unter den Verfolgungen der Nazis gelitten hat und dass mein Durchfallen – bei einer Fünf in Französisch so gut wie gewiss – uns in neues Unglück stürzen würde.
    Es ist zwar eine Riesenschweinerei, ihre gewiss ehrenwerten Gefühle schamlos auszunutzen, aber wir schaden damit niemandem. Im Gegenteil, wir verhindern nur ein Unglück – für unsere Familie.«
    Esel, die stets neue Einwürfe anbringen wollte, ist bei meinen letzten Worten in sich zusammengesunken. Sie blickt verstört in unbestimmte Richtung. Nach wenigen Augenblicken hat sie sich jedoch wieder in der Gewalt und richtet ihren Blick fest auf mich. »Nein!«, bricht es aus ihr heraus. »Du willst von der Ermordung meiner Geschwister profitieren, du Lump! Du bist ein skrupelloser Verbrecher, kalt, gefühllos, berechnend. Genau wie die Nazis.«
    Ich kann ihr nicht mal böse sein. Dennoch, ich darf jetzt nicht weich werden. Dann war alles umsonst. »Beruhige dich, Esel«, sage ich leise. »Niemand will von der Ermordung deiner Familie profitieren, am allerwenigsten ich.«
    »Doch!«
    »Eselchen, hör mich bitte an. Mich kotzt das alles mindestens ebenso an wie dich. Ich war zu faul. Und ich habe offenbar kein Sprachtalent. In Englisch hatte ich fast stets eine Fünf. Auch Fred hat in Israel nie vernünftig Hebräisch gelernt. Aber lassen wir das. Ich will nur nicht durchs Abitur sausen und euch und mir Schande bereiten.«
    »Das hättest du dir früher überlegen müssen«, schreit Esel.
    Ruhe bewahren, Rubinstein, jetzt musst du die Sachedurchstehen. »Deine Geschwister sind tot. Von den Nazis umgebracht, nicht von mir.
Ihr
seid zu ihnen nach Deutschland zurückgekehrt, nicht ich, aber das tut im Moment nichts zur Sache. Es geht jetzt nur darum, zu verhindern, dass ich durchfalle, um sonst gar nichts.«
    »Aber du willst meine ermordeten Schwestern und meinen Bruder für deine Zwecke missbrauchen.«
    »Nein! Ich will nur mit allen Mitteln verhindern, dass ich durchsause. Das Einzige, was in diesem Fall zu wirken scheint, ist das schlechte Gewissen der Deutschen. Wer weiß, was die Schneeberger oder ihre Familie damals angerichtet haben?«
    »Vielleicht redest du nochmals mit ihr und fragst, ob sie dir nicht doch eine Vier geben kann?« Ihre Stimme wird unsicher.
    »Esel! Meinst du wirklich, dass ich dich bitten würde, bei ihr vorzusprechen, wenn ich nur die geringste Chance hätte, diesen Mist allein zu erledigen? Glaubst du, es macht mir Spaß, dich stundenlang um diesen Canossagang anzuflehen? Aber ich weiß, wenn dein Eselkind in Not ist, dann verwandelst du dich in eine Tigermutter.«
    So tief musste ich mich noch nie vor ihr bücken.
    »Wann hat die Frau Doktor Schneeberger ihre Sprechstunde?«
    Geschafft! Esel wird Erfolg haben, wie immer – daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. »Donnerstag um 16 Uhr, Zimmer 205.«
    Ich schleppe mich in mein Zimmer, werfe mich aufs Bett. Esel und die Deutschen werden mir gewiss eines Tages die Rechnung präsentieren.

DAS GRAB
    »Na, Fred, was tut sich bei ›Silberfaden & Ehrlichmann‹?« Wie eine verängstigte Maus sitzt er hinter dem schäbigen Schreibtisch, inmitten bis zur Decke reichender Warenregale und aufgestapelter Holzkisten. Seine für gewöhnlich schalkhaften wasserblauen Augen wirken hier stumpf. Das Lid des rechten Auges schiebt sich von der Seite her fast bis zur Augenmitte. Freds Stimme klingt matt: »Bist du schon mit der Schule fertig?«
    »Wir hatten heute die letzte Klausur. Bis zum Abitur gibt es nur noch vereinzelte Wiederholungsstunden.«
    »Und wie ist es dir in der Klausur gegangen – Englisch war es ja wohl?«
    Gott, du Gerechter, weshalb muss sich der Alte für alles interessieren? Welcher gojische Vater weiß, welche Prüfung sein Sohn an welchem Tag macht? Habe ich eine Ahnung, welches Stoffsortiment Fred heute im Lager zu verwalten hat?
    »Ich glaube, das Übliche, Fred.«
    »Also eine Fünf.«
    »Keine Sorge, Fred, wegen einer Fünf fällt man nicht durchs Abi.«
    »Ja, aber ich habe gehört, dass du auch Probleme in Französisch hast.«
    Gehört! Sei froh, dass du noch nichts von Mathe gehört hast, sonst würdest du wieder anfangen zu heulen. Statt mir Mut zu machen, deprimiert mich dieser Bursche nur. »Stimmt, Fred. Aber Probleme sind dazu da, um überwunden zu werden.«
    »Solltest du dir nicht einen Nachhilfelehrer nehmen?« Aha! Esel hat ihn schon genau über ihre Pläne instruiert. »Mag sein.

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