Ruby Redfort: Gefährlicher als Gold (German Edition)
Allein schon ihr Klang – so regelmäßig, dass Ruby an das Ticken einer Uhr denken musste – schien nichts Gutes zu verheißen. Und als die Schritte vor der Tür angekommen waren, hinter der Ruby saß, klopfte ihr Herz so ungestüm, dass ihr ganzer Körper vibrierte.
Als sich die Tür langsam und knarrend öffnete, liefen Ruby Schweißtropfen über das Gesicht, obwohl es eiskalt war hier im Turm. Die Gestalt in der Tür warf einen langen gespenstischen Schatten – der fast wirkte, als sei er unabhängig von dem Mann, dem er gehörte. Mehr als diesen Schatten konnte Ruby fürs Erste nicht erkennen, aber andererseits sah Ruby mit nur einer Kontaktlinse sowieso kaum etwas.
Doch sie musste weder gut sehen noch etwas erkennen können: Ihr sechster Sinn sagte ihr, dass dieser Mann kein guter Mann war.
Er ist die Art Mann, dachte Ruby, der jemanden ohne mit der Wimper zu zucken über einem brodelnden Vulkan baumeln lassen würde, nur weil … na ja, warum nicht?
37. Kapitel
Das Rad der Zeit hält niemand auf
Ich hätte Gelb tragen sollen, dachte Sabina. Gelb steht mir einfach umwerfend gut.
Sabina Redfort hatte sich noch nicht ganz von ihrer Enttäuschung erholt, dass sie nicht als einzige Frau die grandiose Idee gehabt hatte, ein jadegrünes Kleid zu tragen; die meisten anwesenden Damen waren in unterschiedliche Grüntöne gekleidet. Trotzdem – die geeisten Kanapees waren göttlich und die grünen Martinis einfach ein Traum. Alles in allem war der Empfang im Museum ein glänzender Erfolg.
Die Stimme von Freddie Humbert riss sie aus ihren selbstzufriedenen Gedanken.
»Und wo steckt dein schlaues Töchterlein, Sabina?«
»Sie mag ja schlau sein, Freddie, aber die Uhr kennt sie offenbar noch nicht. Brant und ich haben alles versucht, um sie zu Pünktlichkeit zu erziehen, aber ich fürchte, es ist aussichtslos bei Ruby.«
»Ah, sie ist trotzdem ein tolles Kind«, sagte Brant und seufzte. »Zwar etwas zerstreut, aber ich lasse nichts auf sie kommen.«
»Zerstreut?«, wiederholte Sabina und zog die Stirn kraus. »Die Uhr wird Mitternacht schlagen, bevor sie sich blicken lässt, und dann ist alles vorbei.«
»Wie wahr«, sagte Freddie Humbert, »die heutigen Kinder sind einfach nicht fähig, selbst einfachste Vorschriften zu befolgen.«
»Hier, Dad«, sagte Quent, der gerade mit einem Tablett mit Getränken ankam. »Zwei Martinis, einer mit extra viel Oliven, einer ohne Oliven, ein Mineralwasser, Eis und einen Limonenmix und dann noch einen Jadesaft ohne Früchte.«
»Das muss an diesem Teufelswerk, dem Fernsehen liegen«, bestätigte Marjorie Humbert. »Quent klebt immer förmlich vor dem Apparat.«
»Da ist kein normales Gespräch mehr möglich«, sagte Freddie.
»Vielleicht weiß Hitch, wo Ruby stecken könnte«, sagte Sabina in einem Anflug von Besorgnis.
Hitch blickte schon seit geraumer Zeit angestrengt durch den Raum. Wo zum Teufel bist du, Katze, und für wen von der Unterwelt arbeitest du dieses Mal? Wer konnte so verrückt sein zu glauben, er könne mit seiner Bande eine Organisation wie Spektrum überlisten, an einem perfekt geschulten Sicherheitsteam vorbeikommen und einen Gegenstand stehlen, der als ›wertvoller als Gold‹ galt?
Der Schattenmann näherte sich dem Stuhl und beäugte Ruby von Kopf bis Fuß.
»So, so, Sie sind also Miss Redfort … Miss Ruby Redfort.« Der Mann sprach ihren Namen aus wie in einem Filmvorspann, wenn noch nichts zu sehen war. »Ich bedauere die Unannehmlichkeiten – hat Mr Marshall die Fesseln zu straff gebunden? Er ist manchmal etwas grob.«
Der Mann hatte eine irritierend sanfte Stimme – ruhig und besänftigend, stellenweise kaum hörbar.
»Eine Schande, wie kalt es hier ist. Offenbar ist es immer eisigkalt in diesem Turm, dabei haben wir so einen schönen milden Frühlingsabend.«
Ruby versuchte, Blickkontakt mit ihm aufzunehmen, doch sie sah nur Schwarz: keine Pupillen, keine Iris. Haifischaugen, dachte sie unwillkürlich – unergründlich. Der Mann trat an den Tisch, griff nach dem Krug und schenkte sich ein Glas Wasser ein.
»Hat Mr Marshall Ihnen überhaupt etwas zu trinken angeboten? Eher nicht, wie ich ihn kenne, dabei verraten Manieren alles über einen Menschen, nicht wahr? Und was wären wir ohne Manieren? Monster?«
Ruby dachte an ihren Vater. Wie oft hatte sie ihn nicht schon sagen hören: Manieren zeichnen den Gentleman aus. In diesem Punkt täuschte er sich offenbar gewaltig.
»Mit etwas Rücksicht kommt man im Leben weiter, nicht
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