Ruby und Niall
Die Bibliothek war klein und nicht sonderlich gut ausgestattet, das Gebäude erinnerte an zusammengeschobene Container und konnte trotz einiger Drucke und historischer Landkarten an den Wänden keine gemütliche Atmosphäre erzeugen.
"Ab und zu trampe ich nach Augusta oder Lewiston", sagte Ruby, "dann gehe ich in die richtigen großen Büchereien oder sehe mir ein paar Dinge an, die ich mir nicht leisten kann."
Bei ihren Büchern waren Bildbände von amerikanischen Nationalparks und vom irischen Südwesten und Niall heuchelte Interesse an den Nationalparks, damit er nicht in die Verlegenheit kam, etwas über die irischen Panoramen sagen zu müssen.
"Kommst du mit den Jungs zurecht?" Ruby klappte das Buch zu, es knallte wie ein Pistolenschuss in dem großen Raum und sie zog grinsend den Kopf ein. Sie konnte niemanden sehen, aber sie fühlte die strafenden Blicke.
"Könnte schlimmer sein. Es ist stressfrei, aber vielleicht bin ich auch noch nicht lange genug dabei."
"Homos sind nie stressfrei."
"Ich weiß nicht genau, wer von denen einer ist und wer nicht", flüsterte Niall.
Am Abend tauchte sie unvermutet in der WG auf, hatte ein paar Lebensmittel mitgebracht und verkündete, sie würde für ein anständiges Abendessen sorgen. Luke war mal wieder unterwegs und Ethan half einem Freund bei der Autoreparatur, bevor seine Schicht losging, deshalb kochte Ruby nur für Niall, Cotton und den Mexikaner.
"Was ist mit Mom, dass sie die Schicht mit dir getauscht hat?"
"Ihr Mann ist zurück."
Juliannes Mann hatte aus dem Mittleren Westen einen Hund für die Kinder mitgebracht, einen kleinen Colliemischling, der allerdings von den Kindern nichts wissen wollte und sich vor ihnen unter dem Bett verkroch. Julianne wollte den Köter wieder loswerden, aber sie hatte noch niemanden gefunden, der ihn haben wollte.
"Der kackt in die Wohnung", sagte sie, "und plündert die Mülltonne. Keine Ahnung, wo mein Mann ihn herhat, vermutlich ist der Streuner ihm auf der Baustelle nachgerannt."
Ethan hätte ihn sofort aufgenommen und im Hinterhof untergebracht, aber die anderen wollten keinen Hund. Ruby versammelte die Jungs in der Küche, sorgte dafür, dass sie neben Niall saß, nachdem das Essen auf dem Tisch war. Sie hatte sogar eine gute Flasche Wein mitgebracht.
"Wie kommen wir zu der Ehre?", fragte der Mexikaner. Selbst die Mädchen, die er abschleppte, wären nie auf die Idee gekommen, für alle Mann zu kochen.
"Beschwer dich noch", sagte Ruby.
"Du hättest nicht so teuren Wein kaufen sollen."
"Hab ich nicht. Der ist geklaut."
Es war kein Festessen, aber das Fleisch war gut gewürzt und die Beilagen bodenständig, außerdem schmeckte der Wein besser als das saure Zeug, was in der WG sonst vorrätig war. Niall hatte geholfen, das Gemüse zu putzen und das Fleisch zu schneiden, hatte sich darüber ausgelassen, dass nicht eines der Messer zu etwas zu gebrauchen sei - nicht scharf genug.
"Kochen kannst du auch, was?", fragte der Mexikaner.
"Ich bin ein Allround-Talent. Nur beim zur Seite springen bin ich nicht der Knaller."
Er hob sein Gipsbein über die Höhe des Tisches.
"Ich kannte mal jemanden, der hat die Hauskatze überfahren", sagte Cotton und sah den Mexikaner herausfordernd an. Es war seine Katze gewesen.
"Oh, bööse", rief Ruby.
Niall bestand darauf, diese Geschichte zu hören und der Mexikaner erzählte sie schließlich.
"Das ist furchtbar", sagte Ruby, aber sie lachte am lautesten. Cotton übernahm den Abwasch und schickte alle aus der Küche. Im Flur blieb Ruby vor dem Eisbärenfell stehen, was noch immer an einem Haken an der Wand hing, strich mit beiden Händen über den Pelz und sagte verwundert: "Ich hab gedacht, so ein Fell wäre weicher. Und nicht so gelb." Sie drehte sich zu Niall herum. "War sie die bärtige Frau oder war sie die Yeti-Frau? Ich hab das Plakat im Supermarkt gesehen."
"Sie war beides", sagte Niall, "der Bartwuchs in ihrem Gesicht war echt, aber wenn sie das Fell anhatte, sah sie aus, als wäre sie riesig, fett und komplett behaart. Sie hieß Natasha und kam irgendwo aus Osteuropa, genauso wie der größte Mann der Welt."
"Das hab ich gelesen", sagte Ruby. Sie hatte einen Arm in das Fell gesteckt. "Dieser Riesenwuchs wird durch eine Hormonstörung verursacht und Kinder in den entwickelten Ländern werden frühzeitig dagegen behandelt. Die Riesen sterben aus."
Als sie sich verabschiedete, sagte Niall, er würde sie noch ein Stück begleiten.
"Das war ein netter Abend", sagte er.
Sie knuffte ihn vorsichtig
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