Ruby und Niall
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Niall spielte mit dem Gedanken, seine Arbeitskraft anzubieten, aber was konnte er schon tun mit einem gebrochenen Bein. Er war ein guter Handwerker und Techniker, aber mit der Krücke konnte er weder als Zimmermann arbeiten, noch Fliesen legen oder Dachschindeln austauschen. Ihm wurde klar, dass er die Wochen ohne Job überstehen musste und vielleicht war es nicht falsch, so lange in Winslow zu bleiben.
Ethan fand ihn an der Hintertür, wo er auf den gemauerten Stufen saß, sich die Eier verkühlte und rauchte. Die Krücke lehnte neben ihm an der Wand.
"Du bekommst noch das Geld von mir", sagte Niall, aber Ethan winkte ab.
"Was machst du hier draußen?"
"Ich mag Frischluft."
"Dieses Bärenfell macht mir ne Gänsehaut. Der Mexikaner sollte es schnell loswerden, bevor noch irgendwelche Artenschutzleute auftauchen. Oder Leute aus dem Wanderzirkus auf der Suche nach dir."
Niall hatte das Stück Wiese aufgesucht, wo die Monstrositätenausstellung ihre Zelte aufgeschlagen hatte, in der Hoffnung, sie hätten seine privaten Sachen irgendwo liegen gelassen. Aber alles, was er fand, war Abfall, zertretener und erneut gefrorener Boden und der kleine Leichnam einer Katze. Seine Sachen waren fort, was ihn ärgerte, denn sie konnten damit nichts anfangen.
"Ich war nicht lange genug dabei, dass sie mich suchen würden und die bärtige Frau wird einfach ihr Ersatzkostüm benutzen."
"Waren die Freaks alle getürkt?"
"Nicht alle, aber die meisten. Der Gummimann war echt. Hab vergessen, wie seine Krankheit hieß. Die Kleinwüchsigen waren wirklich klein, aber sie wirkten noch kleiner, weil sie immer nur mit dem Riesen aufgetreten sind."
"Wie bist du bei denen gelandet?"
Niall steckte sich eine neue Zigarette an, rutschte ein Stück auf der Treppe zur Seite und Ethan setzte sich neben ihn.
"Ich hab bei ihnen den Job als Fahrer angenommen und die Herumzieherei war mir egal. Es war kein schwerer Job, selbst wenn wir das Zelt bei Sturm und Regen aufbauen mussten. Nur die Bezahlung war scheiße, und die Hilfskräfte waren die Einzigen, die nie pünktlich ihr Geld bekamen. Nach dem Unfall hat mir der Boss gesagt, dass er mich nicht mit durchziehen kann, wenn ich nicht arbeite."
"Klingt nicht romantisch."
"Wenn ich schlau gewesen wäre, hätte ich schon vor dem Unfall die Biege gemacht."
"Was hast du vorher gemacht? Wenn dein Bein wieder in Ordnung ist, könnte ich dir was vermitteln."
Es könnte einfach sein
, dachte Niall,
ich bleibe einfach hier und warte ab, was passiert. Vielleicht geht alles gut, auch ohne die Hilfe aus Boston. Es könnte gut gehen. Zumindest für eine Weile.
"Es sind mindestens drei Wochen, bis der Gips runterkommt."
"Und?", sagte Ethan, "meinst du, wir halten es so lange nicht mit dir aus?"
Es dauerte eine halbe Woche, bis Niall und Ruby sich wieder über den Weg liefen und gemeinsam ins Café gingen.
"Ich trinke lieber Tee", sagte Niall, "schwarzen Tee mit Milch."
"Das ist ja ekelig", sagte Ruby, "ich bleibe beim Kaffee."
Sie waren aus dem Supermarkt direkt ins Café gewechselt und hatten mit Glück noch einen freien Tisch erwischt.
"Ich hab meine Schicht mit Mom getauscht", sagte sie, "sie hat mich angebettelt deswegen. Das frühe Aufstehen fällt mir verdammt schwer."
Sie verdrehte ein wenig die Augen und grinste. Niall rührte in seinem Tee, goss einen Schuss Milch dazu und Ruby sagte skeptisch: "Naja, zumindest sieht es ein wenig aus wie Kaffee."
Ein Streifenpolizist schlenderte an ihrem Tisch vorbei, grüßte in Rubys Richtung und trug seine Tüte Backwaren zur Tür hinaus. Draußen stieg er in seinen blau-weißen Wagen, den er mitten in einer Schneewehe abgestellt hatte. Niall kam der böse Gedanke, dass Ruby mit ihm auch schon geknutscht haben könnte.
"Del hat ein Verhältnis mit meiner Freundin Mona", sagte Ruby im Verschwörerton, als habe sie seinen Gedanken erraten, "die Beiden tun immer so, als würden sie es geheim halten müssen, dabei weiß die ganze Stadt bescheid."
"Geheimnisse sind verdammt empfindliche Pflanzen", sagte Niall.
Sie gingen gemeinsam in die Bibliothek, unterhielten sich dort flüsternd und lachten über die Bücher, die der andere angeschleppt hatte. Es stellte sich heraus, dass Niall die meisten klassischen Romane gelesen hatte und sie sich darüber unterhalten konnten, und sie waren sich einig darüber, dass eine Geschichte beim Lesen Spaß machen musste und dann erst der tiefere Sinn dahinter zählte.
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