Rudernde Hunde
der Hörakustiker und steckt Herrn Bakker jeweils ein fleischfarbenes, kleines Gerät in die Ohren.
Herr Bakker erschrickt. Er hört seinen eigenen aufgeregten Atem! Die Stimme des Hörakustikers ist lauter! Von draußen schallen die Straßengeräusche herein! Da ist Musik! Wo kommt sie her?
»Ich spreche jetzt zu Ihnen, Herr Bakker. Hören Sie mich normal?«
»Ja.«
»Und wenn ich zu Ihnen so spreche?«
»Zu laut!«
»Sehen Sie - nein, hören Sie, muß man ja sagen - so habe ich bisher zu Ihnen gesprochen, und jetzt spreche ich weiterhin normal zu Ihnen. Nehmen Sie jetzt bitte die Geräte aus den Ohren heraus.
Ich spreche in derselben Lautstärke weiter.«
Herr Bakker hat die Geräte umständlich herausgenommen.
»Und wie hören Sie mich jetzt, Herr Bakker?«
»Schlecht, weit weg.«
»Und jetzt stecken Sie die Geräte bitte wieder in die Ohren.«
Herr Bakker gehorcht.
»So, jetzt kann jeder normal mit Ihnen sprechen. Und Sie werden merken, daß auch Sie leiser, das heißt normal sprechen werden, weil Ihnen selbst Ihre Stimme zu laut sein wird. Und nun wünsche ich Ihnen viel Glück und Spaß. Und wie gesagt, es ist gewöhnungsbedürftig. Sie müssen etwas Geduld haben, jetzt am Anfang.«
Dann ist Herr Bakker draußen auf der Straße, auf der lauten, verrückten Straße, wo Menschen durcheinanderreden, ein Auto bremst, ein Radfahrer klingelt, aus einem Laden Musik kommt, gegen die ein Straßenmusikant mit einer Panflöte ankämpft, von einem Schulhof in der Nähe Kindergeschrei herüberschallt und ein Bettler zu Herrn Bakker sagt:
»Opa, hast du mal einen Euro für mich?«
Die Welt ist laut, denkt Herr Bakker. Er hat nicht mehr gewußt, wie laut die Welt wirklich ist. Herr Bakker hört seine Schritte auf dem Pflaster und das Knistern seines Anzugs, das sich durch die Bewegungen ergibt. Nicht zu glauben, denkt er, daß ich das alles bisher nicht gehört habe. Aber ich habe das doch früher mal gehört, denkt er.
Als Herr Bakker wieder in seine Straße kommt, hört er das Gezwitscher der Vögel. Marianne ist immer noch im Garten.
»Na, immer noch fleißig, Marianne?«
»Jaja, muß ja sein. Wenn nur das verdammte Kreuz nicht wäre.«
Sie hat sich nicht erhoben, hat weiter Unkraut gezupft. Aber sie hat geantwortet. Zum ersten Mal seit - ja, seit wann? Herrn Bakker wird klar, daß sie jedesmal, wenn er hier vorbeigekommen ist, geantwortet hat. Er hat es nur nicht gehört. Und noch etwas merkt Herr Bakker. Er selbst spricht zu laut!
Während er seine Straße entlanggeht, wo Menschen in Häusern und Gärten Musik hören, handwerken, singen, pfeifen, lachen, sich unterhalten, übt er das normale Sprechen. Er nimmt einmal kurz die Geräte aus den Ohren und hat das Gefühl, in einem Raum mit dicken Wänden zu sein. Schnell steckt er sie wieder hinein.
Herr Bakker schaut zu einem Flugzeug oben am Himmel. Er hat es bemerkt, weil er es gehört hat.
Der Zaunkönig erwartet Herrn Bakker schon im Baum am Gartentor.
»Na, wieder da, Herr Bakker?« sagt er.
»Jaja, wieder da«, sagt Herr Bakker.
»Schönen Tag noch«, sagt der Zaunkönig.
»Danke, ebenfalls«, sagt Herr Bakker, und er lächelt zufrieden.
Er hat es doch geahnt, daß man mit dem Zaunkönig sprechen kann. Jetzt weiß er es. Er geht ins Haus. Er hat Hunger. Er wird sich was zu essen machen.
Die alltäglichen Dinge im Haus machen wieder die Geräusche, die sie früher einmal gemacht haben, ehe sie verstummten - nein, ehe Herr Bakker schwerhörig wurde. Das Wasser rauscht aus dem Hahn und gluckert im Abfluß. Die Schranktür quietscht und macht pfft, wenn man sie öffnet. Der Wecker tickt, die Suppentüte knistert, der Kühlschrank surrt, die Suppe kocht brodelnd, das Telefon ist viel zu laut eingestellt, der Fernseher ebenfalls. Und die Hausklingel erst! Herrn Bakkers Tochter kommt.
»Na, wie ist es damit?« schreit sie.
»Gut. Du mußt nicht so schreien.«
»Bisher mußte man das.«
»Ich weiß.«
»Jetzt nicht mehr?« fragt sie mit normaler Stimme.
»Nein.«
»Endlich!«
Sie schaut sich um, kann es nicht lassen, aufzuräumen, was Herrn Bakker immer furchtbar aufregt.
»Hast du etwas Vernünftiges gegessen? Obst? Gemüse? Du kannst nicht immer von Tütensuppen leben.«
Er antwortet nicht.
»Hast du etwas Gesundes gegessen?«
»Was sagst du?«
Da ertappt sich Herr Bakker dabei, daß er ihre Frage sehr wohl verstanden, aber dennoch nachgefragt hat. Warum tut er das?
Erstens, weil er es so gewohnt ist, nachzufragen, zweitens, weil
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