Rückgrad
diesen Dingen abzuwenden, indem ich mir vorstellte, ich sei in einem Kloster, zur Stunde der Vesper, und als sie sagte:
- Toll, diese Szene, der Metzger mit den kalten Händen …! begnügte ich mich damit, mit dem Kopf zu nicken, denn ich, ich fand sie alle toll, und mechanisch bastelte ich weiter an meinem Motorrad.
Ich dachte wieder an Richard, als sie unter der Dusche stand. Ich fragte sie von unten, ob alles in Ordnung sei, dann holte ich mein letztes Fotoalbum hervor- seit sechs, sieben Jahren machte ich so gut wie keine Aufnahmen mehr – , und ich setzte mich auf den Teppich, mit dem Rücken an der Wand, und fing am Ende an. Ich stieß schnell auf die Bilder, die mich interessierten, es gab da besonders eins, auf dem er mit Gladys und seinem Vater war, er war höchstens zwölf Jahre alt, und Mat faßte sie um die Schultern, sie standen vor dem Haus, und wenn man genau hinsah, erkannte man, daß sich Richard auf die Zehenspitzen gestellt hatte. Sarah war nicht auf dem Foto, schon damals war Sarah oft woanders, und wenn man noch genauer hinschaute, konnte man -obwohl sie lächelten – sehen, daß etwas nicht stimmte, das fiel mir jedesmal auf. Mat Bartholomi war mein Freund gewesen, aber ein Vollidiot in puncto Sarah, ein armseliger Typ, unfähig, einen Entschluß zu fassen.
- Mach nur so weiter, hatte ich ihm ständig gesagt, eines Tages seid ihr zu dritt in deinem Bett, und er hatte nur gelächelt oder auch irritiert dreingeblickt, er zog es vor, über all das nicht zu reden, denn weißt du, meinte er zu mir, es gibt da keine Lösung, naja, jedenfalls nicht für mich.
Ich hatte andere Fotos aus jener Zeit, vor allem nach seinem Tod, als Sarah und ich die Kinder aufs Land an die frische Luft mitgenommen hatten, als sie das noch nicht zu sehr langweilte. Von diesen Ausflügen stammten überdies meine letzten Aufnahmen. Ich erinnerte mich an meine Überraschung, als ich hinter das Geheimnis von Sarahs Ausflügen kam, als ich sie im Laufe der Zeit besser kennenlernte, hatten wir doch zu Mats Lebzeiten nie mehr als drei Worte miteinander gewechselt. Was ihre Liebhaber betraf, hatte ich damals eine andere Auffassung als Richard, und jahrelang hatte ich mich nicht darum geschert, ich fand es nur natürlich, wenn sie ihr Vergnügen suchte, und ich dachte nicht, daß all das irgendwie einen Sinn hatte. Davon war ich verdammt nochmal abgekommen. Ich fragte mich, wie sie es hinbekommen hatte, Gladys’ Match zuzusehen. Durfte man hoffen, daß diese Drecksinventur nicht zu sehr darunter litt?
Einen Moment lang war ich versucht, Franck aufzustöbern, nur ein paar Seiten weiter, aber ich hörte ein Trällern aus dem Badezimmer und verzichtete darauf. Ich begnügte mich damit, die Fotos der Kinder zu studieren, und auch nur die, auf denen niemand anders zu sehen war. Die Jungen hatten noch eine zarte Haut. Gladys hatte noch keine Formen. Ich sah sie mir alle drei noch eine Weile an, amüsierte mich über gewisse Details, dann stand ich auf und genehmigte mir ein Glas, kehrte zurück und versenkte mich in die Betrachtung der Zeit und lächelte gerührt über einige belanglose Szenen, die sich durch meine Erinnerungen schlängelten wie ausgewachsene Lachse, die einen mächtigen Strom hinaufschwimmen.
- Sag mal … Hast du immer noch Kopfschmerzen …? murmelte sie, während ich wieder emportauchte und langsam zu ihrem triefenden Körper aufblickte.
Ich schaffte es nicht, ihr klarzumachen, was ein wahrer Schriftsteller ist.
- Sapperlot! Ich sag doch nicht, daß das wirklich schlecht ist …! Aber wo ist der Typ, der das geschrieben hat, wo versteckt der sich, kannst du mir das verraten …?! Spürst du da irgend etwas, spürst du ein menschliches Wesen hinter diesen Zeilen …?! Verdammt, da ist nicht der geringste Stil, das könnte Gott weiß wer geschrieben haben. Ich weiß nicht mal, ob die Handlung gut ist, Menschenskind, nicht mal darüber bin ich mir klargeworden … Ja, glaubst du denn, eine Geschichte sei Grund genug, ein Buch zu veröffentlichen …?!
Sie fand, ich übertreibe, sie fand, das sei gut geschrieben.
- Mensch, Marianne, was erzählst du da …?! Meinst du, ein Buch schreiben heißt nur seine Arbeit gut machen …?! Herrgott, dann gib lieber ein schlechtes Buch raus, in dem sich der Typ Mühe gegeben hat zu schreiben, oder hör auf, mich nach meiner Meinung zu fragen …!
Ich war mir keineswegs sicher, ob sie auf mich hören würde, aber das war mir ziemlich schnuppe, der Tag war fast zu
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