Rückgrad
die Empfindungen, die mich blind gemacht hatten. Was sollte ich jetzt mit den schönen Augenblicken anfangen, die wir gemeinsam erlebt hatten …?!
- Also, Dan, hörst du mir überhaupt zu …?
Ich bekam kaum mit, was sie mir erzählte. Das endete regelmäßig damit, daß ich sie, ohne mir darüber klar zu sein, nur anstarrte, und nach einer Weile unterbrach sie sich dann.
- Na schön, machen wir fünf Minuten Pause, gewährte sie mir mit wohlwollendem Lächeln.
Trotzdem, es wollte mir nicht gelingen, mich zu entspannen.
Wir hatten uns daran gewöhnt, miteinander zu arbeiten. Meist ging es dabei um Themen, die mich nicht sonderlich fesselten, aber das klappte gar nicht so schlecht mit uns beiden. Ich hatte sie monatelang beobachten können. Damals, als ich sie kennengelernt hatte, waren mir einige ihrer Qualitäten vollkommen entgangen – es sei denn, sie hatten sich erst in der Folge entwickelt –, und als sie dann Vorsitzende der Stiftung geworden war und Paul in höchsten Tönen von ihr schwärmte, hatte ich ihm praktisch kein Wort geglaubt und ihn nur mißtrauisch angeblickt. Aber ich hatte ihr unrecht getan. Inzwischen verstand ich mich ganz gut mit ihr. Es kam vor, daß ich türenknallend aus ihrem Büro stampfte und fünf Minuten später zurückkehrte, ohne daß einer von uns auf die Idee kam, sich zu wundern. Ich konnte nicht leugnen, daß ich sie wirklich mochte, auch wenn ihr Geschmack in puncto Roman rettungslos entmutigend blieb.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich ihr verkünden sollte, es gebe Neuigkeiten und ich wüßte den Namen desjenigen, der sie in den Rollstuhl gebracht hatte. Ich brauchte sie nur kurz anzusehen, schon verflog der geringste Elan, den ich in dieser Richtung verspürte. Hermann hatte recht. Trotzdem, ich fragte mich, ob Max droben seinen Blick auf mich richtete, ob er im Begriff war, mich zu verfluchen. Ich beruhigte mich, indem ich mir einredete, er habe ja nicht verlangt, ich müsse es ihr sofort sagen. Pah, die Welt der Lebenden ist nur ein weiter Ozean von nicht einzugestehenden Dingen, von unsäglichen Geheimnissen.
War in dieser Hinsicht keinerlei Fortschritt zu verzeichnen, so mußte man feststellen, daß sich im Lager der Bartholomis einiges tat. Sarahs Versuch, Vincent Dolbello in unseren Reihen zu inthronisieren, glich einer mühevollen Kleinstarbeit. Sie verstand es zunehmend, seinen Namen wie selbstverständlich ins Gespräch einfließen zu lassen, ihr ständiges Vincent denkt dieses, Vincent hat jenes gesagt, Vincent und ich wirkte in unseren Köpfen und wuchs sich zu einer kleinen Armee aus, die sie zum Endsieg führen sollte. Ich kannte sie gut genug, um den Braten zu riechen, aber ich sagte nichts und begnügte mich damit, ihr geduldiges Spiel mit einer Mischung aus Mattigkeit und Resignation zu verfolgen.
Als ich mit Richard gewettet hatte, die ganze Sache werde nicht von Dauer sein, hatte ich mich gehörig in den Finger geschnitten. Mein Gefühl, was Frauen anging, hatte sich im Laufe der Zeit nicht gebessert. Daß Franck mich sitzenlassen würde, hatte ich trotz ihrer Drohungen nicht einen Augenblick lang geglaubt, damals war ich noch ein gefeierter Schriftsteller, kein Typ, den man wie einen gewöhnlichen Sterblichen fallenließ. Ich hatte praktisch den Kopf gegen die Wand rammen müssen, um zu begreifen, was passiert war. Und jetzt täuschte ich mich erneut, man konnte meinen, je näher sie mir waren, um so undurchdringlicher wurde das Geheimnis.
Eines Morgens dann, keine vierzehn Tage nach Max’ Tod, war sich Sarah ihrer Sache sicher genug, um uns allesamt bei sich einzuladen. Ich erfuhr natürlich als letzter davon, was hieß, daß sie meiner Reaktion ein wenig mißtraute, und da hatte sie gar nicht so unrecht, denn hätte sie mir gegenüber nur zwei, drei Worte fallen lassen, bevor sie mit den anderen darüber sprach, hätte ich sofort Ränke gesponnen, um ihren blöden Plan zu Fall zu bringen.
- Das hätte zu nichts geführt, erklärte mir Elsie eines Abends, als ich wieder darüber wetterte, daß wir uns hatten übertölpeln lassen.
- Wir wären nur zurückgewichen, um einen neuen Anlauf zu nehmen …
Ich ärgerte mich schwarz, aber ich wußte haargenau, daß Sarah nicht von ihrem Plan abgelassen hätte, wäre es mir gelungen, ihren ersten Versuch zu vereiteln. Zwei-, dreimal schon hatte sie es hinbekommen, daß wir ihnen da und dort begegneten, und sie hatte Überraschung geheuchelt, daß wir uns an einer Stelle über den Weg
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