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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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den Hals gehetzt hatte, das war sie ganz und gar nicht mehr.
    - Komm … Wir überschlafen das …
    - Nein, das ist sinnlos.
    - Was ist denn eigentlich los …?
    - Meine Güte, ich werde verrückt, das ist los …! Ich kann nicht in einem Büro arbeiten, Marianne, das übersteigt meine Kräfte … Ich ertrage es nicht, von morgens bis abends eingesperrt zu sein …! Und all diese Manuskripte, dieses ganze Zeug, das interessiert mich nicht, das weißt du genau …!
    Ich wandte mich ab und musterte die Lichter der Stadt.
    - Ich hab’s versucht, ehrlich, ich hab’s versucht …. fuhr ich fort. Mit dir hat das nichts zu tun, wirklich nicht.
    Ich konnte die lauwarme Nachtluft fast atmen, trotz der Klimaanlage.
    - Ich bin zu alt, um in die Zivilisation zurückzukehren …. scherzte ich.
    SSssiiii …. sie war zu ihrem Schreibtisch zurückgefahren. Ich fühlte mich wie einer, der sich aus einem Würgegriff befreit hat und langsam wieder zu sich kommt. Ich dachte keineswegs an die dunkle Kehrseite der Medaille, ich konnte es nur nicht fassen, daß ich innerhalb von drei Sekunden meine Ketten gesprengt hatte. Ich hatte Lust, das Fenster zu öffnen und mich wie auf die Reling eines Überseedampfers aufzustützen.
    - Einen Vorschlag hätte ich noch …. eröffnete sie mir und machte sich an ihren Schubladen zu scharfen.
    Ich mußte ein hyperkostbarer Typ sein, daß sie sich derart abschindete, mich unter ihren Fittichen zu behalten. Aber sie hätte mich zum Generaldirektor ernennen können, es hätte nichts geändert. Ich hob eine abschreckende Hand, sie solle sich meinetwegen keine Mühe mehr machen.
    In diesem Moment kramte sie diese alte Reliquie von Drehbuch hervor, an dem wir vor so langen Jahren – oh, unter Tausenden hätte ich diesen safrangelben Umschlag mit der kastanienbraunen Kante wiedererkannt – gemeinsam gesessen hatten. Daß es, so urplötzlich an die frische Luft gezerrt, nicht auf der Stelle zu Staub zerfiel, erstaunte mich einigermaßen.
    Marianne starrte mich einen Moment an. Meine Freiheit war noch so frisch, daß ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte, grundlos und vor allem ohne jeden Bezug zu dem Gegenstand, den sie mir da präsentierte.
    - Ich denke schon seit einiger Zeit darüber nach …. stieß sie fast widerwillig hervor, dann verstummte sie und lauerte verstohlen auf meine Reaktion.
    Ich unterdrückte nur mühsam ein unangebrachtes Gähnen. Nahm sie an, ich würde auch nur das geringste Interesse für diesen elenden Schinken aufbringen, den sie da eilfertig ausgrub …?
    - Verdammt, es ist spät …! seufzte ich.
    Es tat mir schon im voraus leid um sie. Sicher, ich wußte nicht, worauf sie hinauswollte, aber daß sie nur einen Funken Hoffnung darauf gründete, mich mit einem solch armseligen Trumpf im Ärmel umzustimmen, betrübte mich ihretwegen.
    Das war bestimmt das letzte, das in mir irgend etwas hätte wachrufen können.
    - Hier, Dan, das meinte ich …. sagte sie. Du erhältst weiter deinen Scheck, und du bleibst zu Hause. Wäre das eine Lösung, mit der du dich anfreunden könntest …?
    Ich spannte meine Bauchmuskeln an, wie in einem Aufzug, der zu schnell fährt.
    - Ich weiß nicht … Sieht so aus …. murmelte ich.
    - Ja, ich finde auch …! übertrumpfte sie mich mit dem entsprechenden Lächeln.
    Wenn ich nicht mehr auf den Wecker zu achten brauchte, wenn ich zu Hause bleiben konnte und wenn man mich in Ruhe ließ, wenn man mir weiter meinen Scheck schickte …. ja, dann war ich bereit, Wunder zu vollbringen, ich wollte, daß sie in der Hinsicht keine Zweifel hatte. Ein Drehbuch zu schreiben, dazu war ich noch fähig. Das war, als bäte man einen ehemaligen Kapitän darum, am Strand entlang zu rudern.
    Wir brauchten die Sache nicht stundenlang zu beraten, das Ganze war in weniger als einer Minute geregelt. Außerdem war das recht einfach: Ich packte das Drehbuch ein, und es stand mir frei, Hackfleisch daraus zu machen oder mich draufzusetzen. Ich durfte es nach Belieben bearbeiten, durfte tun, was ich für richtig hielt, sie interessierte sich nur für das Resultat. Ich wiederholte, unter diesen Bedingungen brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Und das war keine Angeberei. Ich hatte eine Weile gebraucht, um meine Grenzen kennenzulernen. Inzwischen hatte ich diese Probleme nicht mehr.
    Als ich die Nacht draußen betrachtete, lächelte ich ob der Vorstellung, daß ich mir jetzt lange Ferien leisten würde, und der Teppichboden gab unter meinen Füßen nach wie warmer Sand.

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