Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
mußte zugeben, sie war begehrenswert, ich verspürte immer noch die gleiche Bewunderung für ihre Weiblichkeit, und ich kannte nicht viele, die eine solche Wirkung auf mich ausübten, aber das war nicht mehr, was ich einst für sie empfunden hatte. Zum erstenmal war ich mir dessen richtig bewußt. Jetzt, da ich sie neben mir hatte, konnte ich mir das ein wenig näher ansehen, niemand kam mir in die Quere, und ich konnte in aller Ruhe darüber nachdenken und mich daran machen, die Haltetaue einzeln zu überprüfen, und an diesem Abend konnte ich feststellen, daß es einige gab, die tatsächlich lockerer geworden waren.
    Mit dem schneidenden Geräusch eines Rollschuhs, der einen eisernen Hügel hinunterrollt, in regelmäßigen Abständen auf einer Reihe von Nieten zusammenzuckend, purzelten wir in das flache Land, und ein riesiger Kalmar stieß uns einen dicken Strahl Tinte entgegen. Draußen war nichts mehr zu sehen. Die Nacht war so dunkel, daß man Himmel und Erde nicht mehr unterscheiden konnte, und schließlich drehte sie sich um und fragte mich, ob wir nicht noch eins bestellen sollten. Ich angelte den Flachmann aus meiner Ledertasche. Ich ziehe es vor zu fliegen, da ist der Service schneller. Ein merkwürdiges, fast schmerzliches Lächeln spielte um ihre Lippen. Tja, Dinge ansehen, die vorbeihuschen und vom Schatten verschlungen werden, ist nicht unbedingt das Beste für die Moral.
    Sie hob ein wenig ihr Glas, als wollte sie mir zuprosten. Ich hob meines nicht. Ich wußte, daß sie mich unangenehmen Dingen zuführte. Man hätte meinen können, sie wolle nicht daran denken, sei entschlossen, diese Reise so angenehm wie irgend möglich zu gestalten, aber mir war nicht danach, auf ihr Spiel einzugehen, ich war nicht so wendig wie sie, ich hatte nicht die Fähigkeit, plötzlich zu vergessen, was sie mit dieser famosen Freundschaft angestellt hatte, mit der sie mir in den Ohren gelegen hatte, mir steckte noch ihr keusches Murmeln in der Kehle, o nein, Dan, Dan, wir dürfen nicht, ich hab so etwas noch nie mit einem anderen Mann erlebt, ich brauch dich zu sehr, O NEIN,WIR DÜRFEN NICHT …!! Ich war zweifelsohne in einer erstaunlichen körperlichen Verfassung, denn während ich mir diese traurigen Worte ins Gedächtnis rief, hatte ich den verchromten Hals meines Flachmanns unbewußt in meiner Hand zerquetscht, er sah aus wie ein Rest Alufolie. Sie hatte nichts davon mitbekommen, denn ich hatte im Schatten des Tisches gewirkt, übertönt vom Rauschen der Gleise, und so hatte sie mir nicht anmerken können, was ich in puncto Waffenruhe dachte. Wenn sie jemals in mir hatte lesen können wie in einem Buch, dann war das an diesem Tag nicht der Fall. Anscheinend setzte ich, manchen Blicken nach zu urteilen, die sie mir zuwarf, eine recht undurchdringliche und verwirrende Miene auf. Wahrscheinlich bildete sie sich ein, ich schmollte nur, es würde nicht lang dauern, dann würde ich es nicht mehr aushallen und die Maske fallen lassen und wieder ihr alter Gefährte sein, aber da täuschte sie sich, denn es gab keinen anderen Dan in diesem Abteil und auch keine Maske, die ich auf der Nase trug, damit war Essig, das war mein wahres Gesicht. Nichts als ein etwas fades Lächeln, das gönnte ich ihr noch als Lohn für ihre Bemühungen, vielleicht war ich sogar irgendwie gerührt, als sie die Augen niederschlug und ein bekümmerter Schatten hinzukam, allein, wer war schuld daran …? Ich glaubte sehr gut verstanden zu haben, daß sie nur noch ein ganz gewöhnliches Verhältnis mit mir suchte, eine völlig beschissene Freundschaft. Nun gut, unter diesen Bedingungen stand ich ihr zur Verfügung, das konnte sie haben.
    Trotz alldem hatte ich nicht die Absicht, unfreundlich zu sein, und als sie beschloß, ein ganz normales Gespräch mit mir anzufangen, trottete ich mit, ohne das Tempo zu forcieren, unbekümmert, hochnäsig sozusagen.
    Wir teilten uns den letzten Tropfen meines Bourbon. Ich hatte nicht erwartet, daß sie in diesem Punkt mit mir Schritt halten würde – soweit ich mich erinnerte, trank sie selten auf nüchternen Magen –, aber ich schluckte meine Verwunderung hinunter und begnügte mich damit zu notieren, daß ihre Augen einen gewissen Glanz annahmen und eine zarte Röte ihre Wange überzog.
    Obwohl die Luft durchs Fenster zischte, drang nur eine entwaffnend laue Wärme hinein, angereichert mit dem Geruch trockenen Grases und nächtlicher Erde, den sie mechanisch fächerte, während sie mit mir sprach, indem sie träge

Weitere Kostenlose Bücher