Rückgrad
gern.
Mit all meinen Scherereien war ich nicht gerade der ideale Vater, dessen war ich mir bewußt. Was für ein Bild konnte er von mir haben, wenn nicht das eines Typen, den die Frau verlassen hatte, der von seiner Freundin vernachlässigt wurde, ein gescheiterter Schriftsteller, der Flaschen in seinem Schlafzimmer versteckt hielt, ein nicht mehr ganz junger Typ, dessen Kreuz obendrein zuschanden war. Mitunter fragte ich mich, wie er es ertragen konnte und wer sich wohl auf wen stützte.
Hermann, ich liebe dich, aber das reicht nicht, um aus mir einen Heiligen zu machen.
- Wer war das?
- Sarah. Sieht so aus, als war sie nicht gut drauf …
- Ist sie krank?
- Nein, ihr ist bloß danach, essen zu gehen, sie will auf andere Gedanken kommen.
Was trieb er, wenn er allein war? Was hatte ich angestellt, als ich in seinem Alter war, was hieß das damals, ein stilles und verlassenes Haus, woran hatte ich gedacht, wie war die Nacht, hatte ich Angst gehabt, war mir kalt gewesen oder alles egal, hatte ich gar meinen Vater und meine Mutter verflucht oder mir die Hände gerieben, hatte ich ungeduldig auf diesen Moment gewartet …? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern, ich warf alles durcheinander, keine Aussicht, unversehens wieder vierzehn zu werden. Inzwischen war ich knapp dreißig Jahre älter, das war nicht eben mal um die Ecke.
- Ich setz mich vor den Fernseher, sagte er zu mir.
Ich hörte die ersten Tropfen fallen. Dan, und deine Wäsche, die Wäsche, die du nicht reingeholt hast … Zu spät, jetzt ist es zu spät. Dan, im Kühlschrank sind noch zwei Scheiben Schinken, es ist noch Käse übrig und ein wenig Thunfischsalat und Eier. Na schön, bestens, er wird nicht verhungern, und im Gefrierschrank liegen noch Pizzen. Dan, du gehst aus der Küche, und eure Blicke sind einander begegnet … Ja, aber ich bin nicht schlauer als vorher, ich weiß nicht, was er von mir hält.
Sarah führte mich in ein italienisches Restaurant. Es war voll, aber zum Glück fanden wir einen Tisch, der ein wenig abseits stand, und die Stühle waren gar nicht so übel. Ich sah schon, daß es nicht zum besten stand, aber wir waren keine Kinder mehr und warteten wohlweislich, bis der Typ mit den beiden großen Gläsern Americano aufkreuzte, ehe wir versuchten, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich war zufrieden mit ihr. Daß sie sich an mich wandte, wenn etwas schieflief, daß ich derjenige war, dessen Anwesenheit geboten schien, wenn sie Trübsal blies, war dazu angetan, mich regelrecht euphorisch zu stimmen. Mit meiner prompten Überzeugung, das Leben sei ja doch schön, hatte ich ein besonderes Geschick, ihre Moral zu stärken, ich wirkte schnell ansteckend. So hatten wir oftmals unseren kleinen Kummer weggefegt. Wir standen einander ungeheuer nah. Wenn esnur nach mir gegangen wäre, hätten wir längst zu handfesteren Dingen übergehen können, schließlich macht Freundschaft nicht blind, und Sarah war durchaus nach meinem Geschmack. Nicht daß sie mit Elsies umwerfendem Sex-Appeal hätte konkurrieren können, was ohnehin schwierig war, was an der Grenze des Erträglichen gewesen wäre, aber tief in ihren Augen war etwas, das mich perplex machte, das mich, offen gestanden, überwältigte. Nur das eine, das wollte sie mit mir nicht machen, das, o nein, das kam nicht in Frage, sie riß sich jedesmal zusammen, wenn wir uns versehentlich gehen ließen, urplötzlich stieß sie mich zurück, verkündete, sie wolle das Risiko nicht eingehen, nichts könne das ersetzen, was uns verbinde.
- Vielleicht ist das eine Sache, die ein Mann nur schwer versteht, erklärte sie mir. Ich will dich behalten, wie du bist, ich will nicht, daß sich das ändert, verstehst du …?
Ich bewunderte ihre Charakterstärke, überdies fragte ich mich, wie sie das schaffte. Denn ich für mein Teil, wenn ich zufällig ihren Mund flüchtig berührte, dann zählte nichts mehr für mich. Keine Rede der Welt, kein Schwur, kein Entschluß hatte auch nur den geringsten Einfluß auf den Dämon, der in mir wach wurde.
- Dan, sei mir dankbar, daß ich einen kühlen Kopf bewahre …. beschwor sie mich, während sich meine Arme im luftleeren Raum schlössen.
Kaum hatte sie ihr Glas abgesetzt, fing sie an zu seufzen.
- Dan, ich bin verliebt …
Wenn es mehr nicht war, da brauchte ich mir nicht allzuviel Sorgen zu machen, das war das dritte Mal, seit ich sie kannte. Ich hoffte bloß, daß sie uns nicht den ganzen Abend mit ihrem neuen Schwärm auf den Wecker ging.
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