Rückgrad
ins Gesicht, sagte ich zu ihm. Nach all der Zeit, die deine lymphatische Drainage nun schon dauert, ist mein Kreuz noch genauso anfällig wie früher. Beim ersten Kälteeinbruch bin ich wieder reif, das spür ich schon …!
- Meine Güte …! Du hast Knoten, das ganze Rückenmark entlang, was soll ich noch dazu sagen …?!
- Ach, Scheiße, soll ich dir mal was sagen … Ich glaub, ich hab kein Vertrauen mehr zu deinen Behandlungen. Wir sollten besser damit aufhören.
- Ach! Du hast doch keine Ahnung …!
In eben diesem Moment fuhr Marianne Bergens Wagen vor. Max’ Gesicht verkrampfte sich. Ohne zu zögern, packte er das Vehikel mit den Rollen und stürmte auf den Bürgersteig, während der Chauffeur die Beifahrertür öffnete. Max beugte sich in den Wagen, hob Marianne hoch und setzte sie in ihren Rollstuhl. Danach stellte er sich hinter sie, und nachdem er kurz mit einer Hand an seinen Gürtel gefaßt hatte, um zu prüfen, ob sein Hemd an Ort und Stelle war, schob er sie zum Eingang.
- Hallo, Dan …. meinte sie zu mir und winkte mir mit den Fingerspitzen zu, während ein kleiner Elektromotor sie gemächlich durch die Halle trieb.
- Ah! Herrgott nochmal! murmelte er. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Ich krieg ‘ne Gänsehaut, wenn ich dieses Mädchen seh.
Ich gab keine Antwort, aber ich war nicht seiner Meinung, ich fand, Marianne war eher angenehm anzuschauen. Sie kleidete sich einfallsreich, schminkte sich dezent und hatte stets ein Lächeln um die Lippen. Daß sie ständig eine Sonnenbrille trug, wirkte für meinen Geschmack gar nicht einmal zu finster, zumal das obendrein in Mode war und ein Schuß Rätselhaftigkeit noch keinem geschadet hat. Ihre Gegenwart löste in mir keinerlei Unbehagen aus, sie redete, sie rührte sich auf ihrem Stuhl, und sie steckte überall ihre Nase rein, sie war stets emsig zugange, sie machte die Fenster auf und zu, und abgesehen von Max kannte ich niemanden, der nicht im Laufe der Zeit vergessen hatte, daß sie nicht mehr in der Lage war, auf ihren Beinen zu stehen. Und das in einem Maße, daß manche Neuankömmlinge sich zunächst gefragt hatten, ob die Sache mit dem Rollstuhl womöglich nur ein geschmackloser Auswuchs eines exzentrischen Geistes war.
Niemand vermochte zu sagen, was sie wirklich empfand, und wenngleich man sich darauf einigen konnte, daß sie nicht jeden Tag lachte – wer da behaupten wollte, er habe Marianne über ihr Los jammern hören, mußte schon böswillig sein.
- Setz dich …. sagte Paul zu mir. Eins solltest du trotz allem begreifen, vertraute er mir mit sanfter Stimme an. Diesmal geht es nicht um die Stiftung, es geht um dich, um deinen Job. Kannst du mir folgen …?
- Nur schwer.
- Natürlich … Also, ich werde versuchen, dir zu erklären, was los ist, denn ich möchte nicht, daß du dich der Vorstellung hingibst, es stünde alles zum besten.
Nach dieser Einleitung zog er eine der Schubladen seines Schreibtischs auf. Er holte ein Bündel zusammengehefteter Blätter hervor und schob es bedächtig vor mich hin. Dann blickte er melancholisch zum Fenster hinaus.
- Es gab eine Zeit, da war ich mitten in der Szene, fuhr er in müdem Tonfall fort. Du brauchtest bloß zur Tür reinzukommen und konntest dir von all den Projekten, die uns angeboten wurden, eines aussuchen, und weißt du, warum …? Weil ich damals wirklich mittendrin war, ich kannte weiß Gott jede Menge Leute, weiß Gott, wenn ich nur in die Stadt fuhr, um zu Abend zu essen, mit leeren Händen kam ich nie zurück …
Er faltete die Hände auf seinem Schreibtisch und beugte sich zu mir herüber, dabei schaute er mich zärtlich an. Zuweilen mußte er sich einbilden, ich sei sein Sohn. Dank ihm hatte ich mein erstes Buch publiziert, und es gab gewisse Dinge, die selbst ein Exschriftsteller wie ich nicht vergessen konnte.
- Dan … Du sollst wissen, diese Zeiten sind vorbei. Hörst du? Ich hab hier viel zuviel Arbeit, als daß ich meine Beziehungen zu all diesen Leuten aufrechterhalten könnte, ich hoffe, du verstehst das, und je mehr die Zeit vergeht, um so mehr Kontakte verliere ich, weißt du, die warten nicht auf mich, das kannst du mir glauben. Das sind Kreise, da kann man es sich nicht leisten, hinterdreinzuzockeln. Danny, da bist du schneller wieder draußen als du reinkommst, da kannst du Gift drauf nehmen …!
Er sagte mir nichts Neues. Meine Illusionen über die Welt im allgemeinen, die hatte ich samt und sonders schon lange verloren. Ich wußte, was den
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