Rückgrad
war, wußte niemand zu sagen. Dabei ging das jetzt schon eine ganze Weile so, aber man mußte den beiden lassen, daß so gut wie nichts in ihrem Verhalten ihr kleines Geheimnis verriet. Keine Aussicht, sie engumschlungen in der Küche oder mit unter dem Tisch verhakten Füßen zu erwischen, keine Aussicht, sie dabei zu ertappen, daß sie zärtliche Blicke austauschten, sich in einer Ecke flüchtig berührten, das Essen stehenließen oder seufzten oder tuschelten oder die Hände rangen. Was nicht hieß, daß sie so taten, als ignorierten sie einander, im Gegenteil, sie lachten zusammen, amüsierten sich königlich, schmissen sich irgendwelches Zeug ins Gesicht und schnauzten sich auf die natürlichste Weise der Welt an, aber man spürte gar wohl, daß zwischen ihnen ein tiefes geheimes Einverständnis war, daß sie sich zumindest seit vielen Jahren kannten, wenn nicht gar gemeinsam aufgewachsen waren.
Mit der Zeit machte ich es mir zur Gewohnheit, vor die Tür zu gehen, wenn sie sich in unserem Haus trafen. Ich glaubte nicht, daß Richard noch eine ernsthafte Gefahr darstellte, und ich war es leid, ihn anzulügen, zumal ich ständig das Gefühl hatte, meine Stimme versage und die Wahrheit stehe mir im Gesicht geschrieben. Also düste ich auf ein Glas ins Durango und hörte mir eine Stunde lang den neusten Tratsch an, ehe ich mich wieder auf den Heimweg machte. Enrique informierte mich regelmäßig über die Liebesaffären, die sich querbeet in unseren Kreisen zutrugen, und es kam selten vor, daß er mir von einem Besuch zum ändern nicht irgendeinen neuen Klatsch unter die Nase zu reiben hatte.
- Ay Dios mio! lamentierte er. Ja, weißt du denn nicht, daß die beiden nicht mehr zusammen sind …?!!
Meistens wußte ich nicht so genau, von wem die Rede war, aber ich ließ mir kein Fitzchen entgehen, jedes noch so geringe Detail fand ich spannend.
-Amigo, zur Zeit zieht sie mit seinem besten Kumpel los, aber nur, um ihn eifersüchtig zu machen. Si hombre, das scheint aber nicht ganz zu klappen …
Es bereitete mir wahrlich Vergnügen, ihm zuzuhören. Seit Marc in der Gegend war, lief es nicht besonders mit Elsie und mir, aber dank Enrique hatte ich nicht die Absicht, mir sämtliche Haare auszuraufen. Geschichten wie meine hätte er mir drei Tage lang ohne Unterbrechung auftischen können. Ich kam mir ziemlich blöd vor.
In meiner Vorstellung bumste sie mal mit diesem, mal mit jenem, doch als ich ihr den Kern meiner Gedanken enthüllte, schwor sie, das stimme nicht, und schmollte einige Minuten lang. Als ich damals den Verdacht hatte, Franck betrüge mich, hatte ich zugesehen, daß ich mir schleunigst Gewißheit verschaffte, und wenn man sich Mühe gibt, ist das so schwer auch wieder nicht. Bei Elsie hingegen versuchte ich gar nicht, mehr zu erfahren. Vielleicht war ich mit der Zeit lahmer geworden, oder ich hatte ein wenig Weisheit erlangt. Ich beschränkte mich darauf, Enrique von Zeit zu Zeit ein wenig auszuquetschen, aber seine Antworten waren recht vage, und ich gab mich damit auch gern zufrieden. In jener Nacht, in der ich Franck und Abel im gleichen Bett erwischt hatte, da hatte ich Abel quer durch die Glastür geschmissen und alles demoliert, was mir in die Finger kam. Ich war weit davon entfernt, mich erneut in dieser Richtung zu betätigen.
Mehrere Tage lang haben wir uns gefragt, Hermann und ich, was wohl im Haus nebenan vorging. Man hörte Lärm, Türenschlagen, Möbelrücken, Nägel, die in die Wand geklopft wurden. Dann eines Morgens klingelte der Typ, um sich einen Vierkantschlüssel zu leihen, und teilte uns mit, er ziehe um. Ich hatte ihn so gut wie nie gesehen, und in all der Zeit, die wir Nachbarn waren, hatten wir höchstens drei Worte gewechselt, mehr auf keinen Fall. Meistens ging ich gerade hinaus, wenn er mit seinem Hund zurückkehrte.
- Hermann, alter Junge, ich hoffe, die vermieten das nicht irgendwem …! Was hieltest du von ein paar Studentinnen … ?
Er fing an zu lachen, dann vergrub er seine Nase seelenruhig wieder in seiner Kaffeetasse. Offensichtlich war das seine geringste Sorge. Ich fragte mich, ob er sich ab und an auch umsah, ob er im Bilde war, daß es auf der Welt noch andere Mädchen gab.
Ich hatte mich mit Paul für den Vormittag verabredet. Ich setzte Hermann vor dem Gymnasium ab, dann rauschte ich in einem herbstlichen Licht zur Stiftung, ich nutzte die Pause vor einer roten Ampel, um mir Handschuhe anzuziehen.
Im Eingang stieß ich auf Max.
- Sehen wir den Dingen
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