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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Vorstellung, keinen Schlaf zu finden. Es störte mich nicht immer, wachzubleiben und mit offenen Augen in die Dunkelheit zu starren. Das hing davon ab, wie ich es aufnahm.
    Ich bog in den Flur ein, um mir die Zähne putzen zu gehen. Ich hatte den Eindruck, alle Welt schlief, doch als ich die Badezimmertür aufmachte, stieß ich auf Sarah. Auch sie war beinahe nackt. Statt einzutreten, schloß ich leise die Tür und entschuldigte mich.
    - Komm ruhig rein … Du störst mich nicht …! meinte sie, während ich mich durch den Flur entfernte. Vielleicht hätte ich sonst die Gelegenheit genutzt und mir die Augen ausgeguckt, aber es kam auch vor, daß mir sexuelle Dinge so fern waren, daß sich keiner mehr darüber wunderte als ich.
     
    Am nächsten Morgen hatten wir einen Meter Schnee vor der Tür. Der Himmel war wieder blitzblank, und die Sonne glitzerte auf der makellos weißen Straße. Im Radio hieß es, so etwas habe es seit zweihundert Jahren nicht gegeben, und abgesehen von den großen Straßen sei der Verkehr fast vollständig lahmgelegt.
    - Nicht einmal der Vater meines Vater hat so etwas gesehn …! murmelte ich fasziniert.
    Es war kaum zu glauben. Keine Autos mehr, keine Bürgersteige, keine Bänke, nur noch ein riesiger glänzender Strom, aus dessen erstarrten Wellen bizarre Formen wie der Bogen einer Straßenlampe oder die vagen Umrisse eines Baumes mit gekrümmten Ästen emporragten.
    - Hehe, mit der Schule ist heute Essig …! kicherte Richard.
    In der Küche war einiges los. Der Toaster lief auf Hochtouren, die Töpfe drängelten auf dem Ofen, und wenn man wollte, konnte man Eier haben, man brauchte nur zu warten, bis man an der Reihe war. Zum Glück hatten wir es nicht eilig, jetzt jedenfalls nicht mehr, und das Frühstück zog sich in die Länge wegen der Maßnahmen, die danach anstanden.
    Ich fand eine Schaufel im Keller, mehrere Paar alte Stiefel und einen Rechen. Nichts Weltbewegendes. Während sich Mutter und Tochter dem Badezimmer widmeten, unternahmen wir einen Ausfall zur Straße, um zu sehen, was dabei herumkam. Nach fünf Minuten war uns klar, daß das nicht einfach sein würde. Zwar hatten wir einen Graben bis zum Gartentor geschaufelt, aber das brachte uns nicht weiter. Ich ließ Hermann auf meine Schultern steigen. Er war so schwer, daß ich die Augen zukniff und schweigend litt, denn das war wahrscheinlich das letzte Mal, daß ich ihn so trug. Es gab bereits so viele Dinge, die ich nie wieder mit ihm tun würde, so viele kleine Flammen, die mit der Zeit erloschen, daß ich fast erschrak.
    - Ach du Schande! Da rührt sich überhaupt nichts …! verkündete er uns. Die ganze Gegend ist verschüttet …!
    Gegen Mittag hatten wir eine Verbindung zu Harold und Bernie hergestellt, und zwar ohne jedes Hilfsmittel, nur durch einen fairen Nahkampf mit diesen Schneemassen. Die Mädchen waren mit von der Partie. Eine fröhliche Horde, so kämpften wir uns frontal und gegen jede Logik voran, keine sauber freigelegte Passage, zum Teufel mit der öden Langeweile einer professionellen Arbeit, es galt nur: wer marschiert am schnellsten, und niemand dachte daran, sich umzudrehen, um sein Werk zu bewundern, man mußte uns bis zum ändern Ende der Straße grölen hören.
    - Puh, das ist vielleicht ein Ding …! seufzte Bernie und wischte sich die Stirn ab. Grandios, aber anstrengend …!
    - Tag zusammen …! rief Harold. Alles paletti …?
    Der Himmel war makellos klar, aber Bernie hatte den Wetterbericht angerufen, und es sollte, wenn man sich darauf verlassen konnte, am Abend erneut schneien, und Besserung war erst in zwei, drei Tagen in Sicht.
    - Kinder, wenn wir etwas unternehmen wollen, dann jetzt oder nie, fuhr er fort. Wenn wir warten, sitzen wir erst recht in der Patsche …
     - Ja, wir haben keinen einzigen Tropfen Milch mehr …! präzisierte Harold.
    Wir waren auch nicht viel besser dran. Sarah indes meinte uns daran erinnern zu müssen, daß wir nicht irgendwo auf freier Strecke festsaßen und daß den letzten Berichten zufolge die Armee die Sache in die Hand genommen hatte, die würden uns in Nullkommanichts freischaufeln.
    - Sicher, meine Liebe, ich wünschte, du hättest recht …. erwiderte Bernie. Aber bedenke, die Jungs erwartet ‚ne Heidenarbeit, wir dürfen nicht zuviel von denen verlangen …! Außerdem, haben wir im Moment Besseres zu tun …?
    Sie gab keine Antwort, sie schloß die Augen und wandte friedlich ihr Gesicht zur Sonne. Es wurde beschlossen, einen Rettungstrupp in Richtung

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