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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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meine ich damit, daß auch Gladys bestens Bescheid wußte. Ich sah nicht ein, weshalb sie unter diesen Umständen nicht hätte strahlen sollen, und um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich fand sie noch reizender als sonst. Alle drei waren anscheinend begeistert, die Nacht bei uns zu verbringen.
    - Ach, ihr Lieben, wir hatten überhaupt keine Lust, in einem Hotel zu hocken …! hatte Sarah ausgerufen.
    Wir waren es gewohnt, beieinander zu sein, wir waren gut hundertmal so zusammengekommen, und jeder konnte tun, was er wollte, ohne sich um die ändern zu scheren, ohne diese Harmonie zu zerstören, die unter uns herrschte. Es hatte lange Jahre gedauert, dorthin zu gelangen, Geduld, viele Stunden, ja ganze Tage gegenseitiger Aufmerksamkeit hatte es erfordert, ohne jetzt in hochtrabende Worte auszubrechen. Und auch wenn zwischen Hermann und Gladys dicke Luft war, das Gebäude hielt stand und der Abend verlief angenehm.
    Ich hörte mir über Kopfhörer die Kindertotenlieder an, während die ändern Massaker mit der Motorsäge sahen. Ich guckte nur von Zeit zu Zeit hin, die Stimme K. Ferriers in den Ohren, und nie länger als eine Minute, denn mir stand der Sinn nach ganz anderem. Ich sah viel lieber zu, wie der Schnee fiel, oder Sarah, die sich, das kleine Fläschchen zwischen den Knien, die Nägel lackierte. Ich wußte nicht, ob das am Alter lag, aber mitunter, wenn wir so zusammensaßen, überkam mich ein solch unbändiges Verlangen, eine richtige Familie zu haben, eine Frau und mehrere Kinder, daß mir die Kehle brutal austrocknete und ich krampfhaft anfing zu schlucken. Das war eine miese Viertelstunde für mich. Wie konnte Hermann mir verzeihen, daß er keine Mutter hatte, keinen Bruder, keine Schwester …? Am Ende hatte ich meist Tränen in den Augen und ein Glas in der Hand.
    Erst als es an der Zeit war, ins Bett zu gehen, sprang einem das Ungewöhnliche der Situation ins Auge. Eine leichte, eher amüsante Unschlüssigkeit hing in der Luft, bis sich schließlich die beiden Mädchen dazu aufrafften, das Badezimmer aufzusuchen. Wir holten Laken und Decken für Richard, der in der Zeit seinen üblichen Zinnober mit Gandalf abzog und ihm irgendein Zeug in die Ohrmuschel flüsterte. Ich machte mir ein wenig Sorgen wegen meiner Blauen Chirurgenfische, und ich sagte zu ihm:
    - Meinst du nicht …? und deutete mit dem Kinn auf mein Aquarium, aber er zuckte nur, wenn man so will, beruhigend mit den Schultern.
    Wir klappten das Sofa auseinander. Richard ließ sich mit den Händen im Nacken darauffallen und versicherte uns, das werde gehen. Ich zweifelte keine Sekunde daran. In seinem Alter hätte ich auf einem Steinbett geschlafen.
    Gladys erschien oben auf der Treppe, während wir die Laken spannten. Wir richteten uns auf. Sie war spärlich bekleidet und wahrlich entzückend, und ihr Lächeln purzelte freundlich die Stufen herunter und kullerte vor unsere Füße. Sie wollte wissen, ob ich keine Kleenex hatte. Ich bot ihr eine Rolle Zewa an.
    - Nee, macht nichts, schon gut …! sagte sie und strich sich über den Nacken.
    Sie trödelte ein paar Sekunden auf dem Treppenabsatz, als fragte sie sich, ob sie es sich nicht doch anders überlegen sollte, dann winkte sie uns zu und machte seelenruhig kehrt.
    Hermann war bleich geworden. Es gab nichts mehr zu sehen, doch er starrte hartnäckig auf den gleichen Punkt. Ich warf Richard einen enttäuschten Blick zu und half ihm schweigend, sein Bett fertigzumachen.
    Ich hörte die beiden ein paar Worte wechseln, als ich mir in der Küche einen Schluck genehmigte. Es war praktisch nicht mehr zu sehen, was sich draußen tat, denn eine Mauer aus Flocken wirbelte vor meinem Fenster, aber das Ganze erschien mir unheimlich weiß und vor allem verdammt dicht. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so viel auf einmal gesehen zu haben.
    - Na schön … Ich leg mich hin …! erklärte Hermann in müdem Ton.
    Fast hätte ich ihn zurückgehalten und ihm gesagt, was ich von Gladys’ Nummer hielt, daß einem das ins Auge sprang, aber eine Art Trägheit ließ mich von der Betrachtung dieses Schneegestöbers nicht loskommen, und ich nickte bloß, ohne mich umzudrehen.
    Ich folgte ihm kurz darauf. Ich war eigentlich nicht müde, ich fand nur nichts Besseres zu tun, da Richard im Wohnzimmer war, zumal er das Licht ausgemacht hatte. Trotz allem, auch wenn die ganze Sache gewaltig nach Schlaflosigkeit roch, stieg ich die Treppe ohne die geringste Bitterkeit hinauf und keineswegs verärgert ob der

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