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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Ich spürte, wie augenblicklich eine Wolke von Mikroben um mich zerstob, ich sah sogar einige von der Größe eines Stecknadelkopfes, die sich gemächlich in dem düsteren Lichthof treiben ließen. Selbst die Katze kam mir krank vor.
    - Verdammt …! Wie fühlst du dich denn …? murmelte ich und riß meine Jacke auf, um der feuchten Wärme des Raumes entgegenzuwirken. Er ließ sich auf die Kante seines zerzausten Bettes fallen und klärte mich mit einer vagen Geste auf, alldieweil ich einen Stapel Medikamente in dem Halbdunkel gewahrte.
    Ich hatte ihn noch nie krank erlebt, das heißt, bettlägrig mit Fieber, und mit einemmal erschien er mir sehr alt. Seine Haare waren verfilzt, die Schulterknochen ragten durch seinen Trainingsanzug, und er sah leichenblaß aus, auch wenn seine Augen heller leuchteten als sonst und er sich Mühe gab, mich anzulächeln.
    - Hast du das schon lange …? fragte ich ihn.
    Er zuckte mit den Schultern, keine Ahnung, teilte er mir mit. Vielleicht fünf, sechs Tage, das sei einfach über ihn gekommen, wahrscheinlich eine heftige Grippe, glaubte er, eine, wie er sie noch nie gehabt habe, solange er zurückdenken könne.
    - Scheiße, du wirst wach und kommst nicht mehr hoch, du hast nicht mal Kraft, dir ‘nen Kaffee zu kochen …!
    Plötzlich, als ich ihn so sah, hatte ich die Vision eines Typen, der sich im letzten Winkel seiner Höhle verschanzt und beim Anblick des Tageslichts tot umfällt. Ich hätte meinen Kopf verwettet, daß er kein einziges Mal die Fenster aufgemacht hatte. Die Luft war so dick, so merkwürdig und intim von seinem Geruch geschwängert, daß ich kaum in der Lage war, sie in mich hinein zu schlingen.
    - Menschenskind, sagte ich zu ihm, kannst du denn nicht Bescheid sagen, wenn du sowas hast …?!
    Er verzog das Gesicht und stand auf.
    - Scheiße, und wozu …?!
    - Wie bitte, wozu …?! empörte ich mich.
    Wir wechselten einen schonungslosen Blick, dann drehte er mir den Rücken zu und beugte sich über seine Medikamente. Ich spürte, daß es immer schwieriger wurde mit ihm. Das war nicht erst seit heute so, sondern mehr oder weniger seitdem man ihn vom Gymnasium gefeuert hatte. Jeder von uns hatte bemerkt, daß er den Schlag arg dramatisiert hatte, und das machte die Sache nur noch schlimmer. Schließlich war ich der einzige, der ihn noch verteidigte. Zwar joggte ich inzwischen nicht mehr so oft mit ihm, ich sah ein, daß es kein reines Vergnügen war, mit ihm zusammen zu sein, aber ich versuchte, nicht allzusehr daran zu denken, oder ich regelte das Problem auf eine alles in allem verdammt ungehörige - wenn auch in meinen Augen endgültige – Weise, indem ich mir sagte, an all dem sei das Alter schuld, zu altern sei nicht unbedingt das Beste, was einem auf Erden zustoßen könne.
    - Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich für’n Zeug nehmen muß …! stöhnte er.
    Ich schwieg. Ich beugte mich vor, um das Telefon aufzuheben und ließ die abgetrennte Schnur durch meine Finger gleiten.
    - Ich find das nicht besonders schlau …. erklärte ich.
    - Pah … Wozu soll ich mir was vorspielen …? stieß er hervor und drehte sich um. Ich bin’s leid, ständig ranzugehen und die Leute haben sich verwählt.
    Er warf den Kopf zurück, um seine Tabletten zu schlucken. Ich nutzte die Pause zu der Feststellung, daß ich es nicht nötig hatte, mir Extrasorgen aufzuhalsen, und biß mir leicht auf die Lippen.
    - Bis jetzt hat sich noch keiner wirklich um mich Sorgen gemacht, fuhr er fort. Daran ändert sich jetzt auch nichts mehr.
    Ich zögerte einen Moment, dann machte ich mir eine Zigarette an, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Er hielt sich nicht besonders sicher auf den Beinen, schaffte es aber, mich mit einem sardonischen Grinsen einzudecken.
    - Max, ich bin nicht gekommen, um mit dir zu jammern und über dein Los zu klagen. Noch bin ich nicht reif für mildtätige Werke …
    - Kruzifix, ich hab dich um nichts gebeten …! würgte er hervor und ballte die Faust vor seinem Herzen.
    - Bitte mich jetzt um was, bitte mich, dir zu holen, was du brauchst …! Ich bin extra deswegen gekommen …!
    Ich drückte meine Zigarette aus, während er in seine Ecke zurückging und an den Ärmeln seines in den Farben der Schule gestreiften Trainingsanzugs zupfte.
    - Was hieltest du davon, eine Minute die Fenster zu öffnen?
    - Ach, verdammt, mach doch, was du willst …!
    Ich schritt eilends zur Tat und beugte mich gründlich über die Straße. Die Luft war eiskalt und so rein, daß es mir

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