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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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fast den Atem verschlug. Ich war schweißgebadet und zitterte einen Moment. Hier und da fielen erneut ein paar Flocken, aber auf köstliche Weise, mit einer Grazie, die einem das Herz zusammenschnürte. Ich atmete tief durch, dann schloß ich das Fenster und drehte den Espagnoletteverschluß. Aber ich rührte mich nicht von der Stelle und starrte weiter nach draußen.
    - Max … Wie kriegt man das hin, sowas von allein zu sein …?! murmelte ich.
    - Du bist lustig, Danny … Nichts einfacher als das …! knurrte er hinter meinem Rücken.
    Ich schloß die Augen, um den Zorn, der mich plötzlich überkam, zurückzuhalten. Ich war wütend, auf ihn und auf mich, und zugleich unendlich bedrückt, was mein Gesicht kreuz und quer verzerrte. Ich mußte ihm eine schreckliche Fratze darbieten, als ich mich umdrehte, und ich brüllte, bevor meine Lippen anfingen zu beben wie Espenlaub:
    - Aber ich kann mich nicht um dich kümmern, du Idiot …!! Ich hab nicht die Kraft, sowas zu tun, verstehst du das nicht …?!!
    Er hatte sich aufs Bett gesetzt, und erneut drängte sich mir das Bild mit der Grotte auf. Das Licht schien von einem kleinen Feuer aus Reisig zu kommen, das vor seinen Füßen erstarb, es erhellte nicht einmal die Wände, aber Max’ Augen leuchteten darin auf und destillierten ein wildes Licht.
    - Ich verlange nichts …! Ich hab dich um nichts gebeten …! stieß er mit dumpfer Stimme hervor. Ich bitte niemanden um was, geh doch und laß mich in Ruh …!!
    Ich packte mich mit einer Hand am Nacken und atmete tief durch. Ich lehnte mich mit dem Hintern gegen den Tisch, die Kiefer zusammengepreßt, finsteren Blicks, geistig angespannt. Es folgte ein gräßliches Schweigen, das in regelmäßigen Abständen von seinen Atemzügen, einem höchst unheimlichen Pfeifen, unterbrochen wurde.
    - Sehr gut, versuchen wir den Dingen ins Gesicht zu sehen …! seufzte ich, aber weiter ging ich nicht, denn die Gedanken schössen mir in höchster Unordnung durch den Schädel.
    - Du hast keinen Grund, dich um mich zu sorgen, Danny … Glaub mir, ich hatte Zeit genug, mich damit abzufinden, ich bin praktisch mein ganzes Leben lang allein gewesen …
    Du hast keinen Grund, dich um mich zu sorgen …. grum-melte er nach einer Weile.
    Ich stellte erfreut fest, daß sein Gesichtsausdruck milder geworden war, aber ich kam schnell auf den Boden zurück, denn das zerstreute und traurige Lächeln, das er mir schenkte, war schlimmer als alles andere. So wie er dort saß, den Körper nach vorn gebeugt, die Ellbogen auf die Knie gepflanzt, so als verschleiße er seine letzten Kräfte, bevor er endgültig zusammensank, erschien er mir noch älter, noch deprimierter, noch kränker.
    - Herrgott, erzähl mir nichts … Glaubst du, ich bin blind? Soll ich dir sagen, seit wann bei dir ‘ne Schraube locker ist …?
    Plötzlich wurde sein Blick aufmerksamer, aber ich brachte es nicht übers Herz, Salz in die Wunden zu streuen. Das Regal über seinem Bett war voller Pokale, Fotos, Wimpel, mußte ich noch mehr sagen …?
    - Max … Ich werde nicht immer da sein, wenn du ein wenig Gesellschaft brauchst, ich glaube nicht, daß ich das schaffe … Tut mir leid, wenn ich dir das so sage, aber es ist die Wahrheit …
    Mir wäre lieber gewesen, er hätte mich als Schweinehund bezeichnet, leider ruhte sein Lächeln weiter auf mir, und ich fand das um so betrüblicher, als darin ein Hauch von Freundschaft schwang. Aber gesagt war gesagt.
    - Ich bin heilfroh, daß du mir dein Mitleid ersparst, Danny … Weißt du, ich könnte es nicht ertragen, jemandem zur Last zu fallen, egal wem … Ich hab kein besonders interessantes Leben geführt, ich möchte nicht, daß es lächerlich zu Ende geht. Ich glaube, das wäre ungerecht, ich meine für den, der sich die Mühe macht … Ich glaube, der Himmel würde das nicht zulassen, verstehst du.
     
    Als ich ihn verließ, schneite es unverschämt, die Flocken fielen dichtgedrängt auf die Straße, aber es wehte kein Lüftchen, und ihr langsames Fallen war von unendlicher Zartheit. Erfaßte ich eine von ihnen in dem Moment, wo sie an meinem Gesicht vorbeitrieb, sagen wir eine von mittlerer Größe, und ließ sie dann nicht mehr aus den Augen, hatte ich Zeit genug, langsam bis sechs zu zählen, ehe sie auf der Erde landete. Es war herrlich. Ich war so froh, draußen zu sein, daß ich mich mit einem Hagelsturm abgefunden hätte. Der Bürgersteig sang mir ein Negro-Spiritual. Ich schritt kräftig aus. Ich hatte einen Teil meiner

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