Rückgrad
Jahresende ebensoviel Grund, fröhlich zu sein, wie ich Sorgen hatte, es war nicht der rechte Zeitpunkt, mich auf Diät zu setzen. Zudem trank ich nur kleine Gläser. Ich spürte, daß ich mich mit meiner Lesebrille hinters Licht führte. Ich gaukelte mir etwas vor mit meinem Buch auf den Knien. Was ist schon natürlicher als ein Typ, der mit dem Kopf wackelt, wenn er in Gesellschaft von Henry Miller ist, ich meine voller Glück, voller Bewunderung …?
Ich schwebte diese letzten Tage auf einer Wolke, durchquerte eine dunstige und schwer zu fassende Szenerie, mit der ich mich jedoch bestens abfand, muß ich sagen. Diese sanfte Narkose paßte mir blendend, fast hatte ich das Gefühl, ich verdiente sie, eine Gnade werde mir erwiesen.
Am letzten Tag hatte ich glatt den Eindruck, alle Welt wirbele wie wild herum und quer durch die ganze Stadt, ohne daß mir das etwas anhaben konnte. Mit welchem Gleichmut ich mir das ansah, welch angenehme Distanz …! Sarah hatte mich angerufen, danach hatte sie gemeint: oh, und dann: nein, bleib, wo du bist, mir ist lieber, du tanzt mir nicht zwischen den Beinen herum. Sie schien mir mehrere Sachen auf einmal zu machen, und du meine Güte, ich hatte keine Lust, mich daran aufzureiben, man sollte mich vergessen, mehr verlangte ich nicht. Der kleine Danny wollte bloß das Wunder verlängern und weiter mit den Füßen im Leeren baumeln, sonst nichts. Wenigstens bis ins Neue Jahr, wenn es gestattet war.
Ich zog mich recht früh am Nachmittag um, dann verdrückte ich mich in meinen Sessel. Mit meinem Buch. Ich beobachtete Hermanns ständiges Hin und Her und ging ans Telefon, während die Stunde nahte und die Spannung ihren Höhepunkt erreichte. Bei Bernie brannte Licht, ich sah sie die Treppe rauf und runter flitzen, wie damals, als sie Krach hatten, nur daß man weder ihr Schreien noch sonst was hörte, sondern nur Musik, und hier im Haus zog sich Hermann zum zweitenmal um, ich traute meinen Augen kaum, und ich hoffte, daß Gandalf bei den Bartholomis daran dachte, seine Krallen einzuziehen.
Als sie fertig waren, kamen Bernie und Harold bei uns vorbei, um zu sehen, wie weit wir waren, was mir Gelegenheit gab, mein Lächeln zu testen und mich ein wenig zu schütteln. Als ich sie sah, hatte ich wirklich Angst, mein Jackett sei leicht zerknittert und mein Bart seit dem Morgen verdammt gesprossen, aber Bernie versicherte mir, ich sähe glänzend aus. Befriedigt spendierte ich eine Runde, um mich aufzupeitschen. Worauf wir zum Aufbruch rüsteten.
Auf der Türschwelle erwartete uns ein eiskalter Kuß. Mich dünkte, mit leerem Magen würden wir nicht sonderlich weit kommen, aber ich schlug mir den Gedanken aus dem Kopf, umzukehren und noch einen zu kippen. Ich wäre doch niemals betrunken auf mein Motorrad gestiegen, wenn Hermann hinter mir saß, und Bernie konnte uns in seinem MG nicht mitnehmen, weil da die Geschenke waren. Kurz und gut, die Kälte zernagte uns von allen Seiten. Mir gefiel auch nicht, daß er sich nicht an mir festhielt und die Hände in die Taschen steckte.
- Ach du Schande, wir gäben vielleicht ein Bild ab …! meinte er zu mir. Und er ließ sich auch nicht davon abbringen, zumindest, solange wir in der Stadt waren. Zum Glück hatte ich längst eingesehen, daß in diesem Leben nicht alles so laufen konnte, wie ich es wollte, und so verzichtete ich darauf, mir sinnlos die Zunge abzufrieren.
Wir trafen als letzte ein, halbtot, was mich betraf, aber Gott, was war es angenehm bei Sarah, und wie tröstend, sogleich – nur durch das Wunder seines simplen Erscheinens – auf allen Gesichtern ein Lächeln aufflackern zu lassen. So daß mir husch, husch das Blut wieder durch die Adern schoß. Ich küßte Sarah auf den Hals, flüsterte ihr zu, sie sei die Schönste und ich ein schöner Schweinehund, daß ich nicht gekommen sei, ihr zu helfen.
- Meine Güte, ich hatte kaum Zeit, in mein Kleid zu schlüpfen …! sagte sie, während ich sie bewunderte, aus meinem Mantel stieg und mich fragte, ob sie es noch geschafft hatte, etwas darunter anzuziehen.
Erneut wußte ich, daß es mich umbringen würde, wenn ich nicht eines schönen Tages mit ihr bumste. Ich hatte nicht vergessen, was sie mir versprochen hatte, aber für einen Kerl in meinem Alter war das allmählich ganz schön lang, in zwanzig Jahren. Sie lief Gefahr, mich nicht mehr in Hochform zu erleben.
- Ich bedaure, daß ich nicht da war, um mich um den Reißverschluß zu kümmern …! antwortete ich ihr und schenkte ihr
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