Rueckkehr ins Leben
sie hätten uns nur aufgehalten. Aber das Geld 32
war zum Glück noch dort, wo ich es versteckt hatte, in einer winzigen Plastiktüte am Fußende des Bettes. Ich steckte es in einen meiner Turnschuhe, und wir machten uns auf den
Weg zurück zum Sumpf.
Wir sechs sowie die Leute, mit denen wir in die Stadt zu-
rückgegangen waren, versammelten uns, wie zuvor geplant,
am Rande des Sumpfes und begannen, jeweils in Dreier-
grüppchen die Lichtung zu überqueren. Ich gehörte mit Talloi und einem anderen zur zweiten Gruppe. Auf das Signal
der ersten Gruppe, die es geschafft hatte, begannen nun wir, über die Lichtung zu kriechen. Auf halbem Weg gaben sie
uns ein Zeichen, dass wir uns flach hinlegen sollten, und kaum lagen wir, winkten sie, wir sollten weiterkriechen.
Überall lagen Leichen. Fliegen schmatzten genüsslich geronnenes Blut. Nachdem wir es auf die andere Seite geschafft hatten, sahen wir, dass Rebellen auf einem kleinen Turm am Kai Wache standen, von dem aus sie die Lichtung überblicken konnten. Junior und zwei andere waren als nächstes
dran. Als sie herüberkommen wollten, fiel einem der drei
etwas aus der Tasche und schlug auf einer Aluminiumpfanne auf, die auf der Lichtung lag. Das Geräusch war laut genug, dass die Wache haltenden Rebellen aufmerksam wurden und
ihre Gewehre dorthin richteten, von wo das Geräusch ge-
kommen war. Mein Herz klopfte vor Schmerz, meinen Bru-
der auf dem Boden liegen zu sehen und so zu tun, als sei auch er eine der Leichen. Mehrere Schüsse wurden in der Stadt
laut, die die Rebellen ablenkten und dazu brachten, sich abzuwenden. Junior und die beiden anderen schafften es. Sein Gesicht war staubig und zwischen den Zähnen hatte er Reste von Schlamm. Er atmete schwer und ballte die Fäuste. Ein
Junge in der letzten Gruppe, die die Lichtung überquerte, war zu langsam; ein großer Sack mit Dingen, die er von zu Hause geholt hatte, hielt ihn auf. Die Rebellen auf dem kleinen Wachturm entdeckten ihn und eröffneten das Feuer.
Einige der Rebellen, die unter dem Turm standen, rannten
los und schossen auf uns. Wir zischten dem Jungen zu: »Lass den Sack fallen und beeil dich. Die Rebellen kommen. Mach schon.« Aber der Junge hörte nicht. Der Sack fiel ihm von 33
der Schulter, nachdem er die Lichtung überquert hatte, und im Davonrennen sah ich, wie er an dem Sack zerrte, der zwischen zwei Baumstümpfen stecken geblieben war. Wir rann-
ten so schnell wir konnten, bis wir die Rebellen abgehängt hatten. Es war Sonnenuntergang und wir gingen ruhig auf die große rote Sonne und den stillen Himmel zu, der die Dunkelheit erwartete. Der Junge, den die Rebellen entdeckt hatten, schaffte es nicht mehr bis in das erste überfüllte Dorf, das wir erreichten.
In jener Nacht waren wir vorübergehend glücklich, dass
wir etwas Geld hatten, mit dem wir hofften, gekochten Reis mit Maniok oder Kartoffelblättern zum Abendessen kaufen zu können. Wir hatten uns gegenseitig in die Hände geklatscht, als wir uns dem Dorfmarkt näherten, und unsere Mägen
knurrten beim Duft von Palmöl, der aus den Kochhütten
waberte. Aber als wir an die Stände mit dem fertigen Essen kamen, mussten wir enttäuscht feststellen, dass es all die guten Sachen, die dort zuvor verkauft worden waren, Maniokblätter, Okrasuppe und Kartoffelblätter, mit getrocknetem Fisch und fettem Palmöl gekocht und mit Reis serviert, jetzt nicht mehr gab. Einige der Händler sparten ihr Essen für noch
schlechtere Zeiten auf, andere wollten aus unerfindlichen Gründen schlichtweg nichts mehr verkaufen.
Nach den ganzen Schwierigkeiten und Risiken, die wir
auf uns genommen hatten, um das Geld zu holen, konnten
wir nun nichts mehr damit anfangen. Wir wären weniger
hungrig gewesen, wenn wir in dem Dorf geblieben wären,
anstatt meilenweit nach Mattru Jong und wieder zurück zu
laufen. Ich wollte jemandem die Schuld geben, aber da war niemand, den ich beschuldigen konnte. Wir hatten eine logi-sche Entscheidung getroffen, nichts weiter. Das war ein typisches Kriegserlebnis. Innerhalb von Sekunden konnte sich
alles radikal ändern und niemand hatte mehr über irgendetwas die Kontrolle. Diese Dinge mussten wir erst noch lernen und unsere Überlebensstrategien verfeinern, darauf lief es hinaus.
In jener Nacht waren wir so hungrig, dass wir anderen, während sie schliefen, ihr Essen stahlen. Das war die einzige Möglichkeit, diese Nacht zu überstehen.
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Wir hatten solch einen Hunger, dass Wassertrinken
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