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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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beiden Rebellen al-le zusammengetrieben, die dort waren. Es waren über fünf-
    zehn Menschen, hauptsächlich kleine Jungen, ein paar Mäd-
    chen und einige wenige Erwachsene. Sie zwangen uns alle, in den Hof eines Hauses in der Nähe der Büsche zu gehen. Es
    wurde dunkel. Die Rebellen packten ihre großen Taschen-
    lampen aus und legten sie auf die Reismörser, damit sie alle sehen konnten. Während wir dort standen, von den Waffen
    in Schach gehalten, hörten wir, wie ein alter Mann, der aus Mattru Jong geflohen war, eine knarrende Holzbrücke überquerte, die ins Dorf führte. Wir sahen zu, wie der jüngste der Rebellen auf den alten Mann zu lief und am Ende der Brücke auf ihn wartete. Auch er wurde mit der Waffe bedroht, kaum dass er die Brücke überquert hatte, und er musste sich vor uns stellen. Der Mann war wahrscheinlich über sechzig, doch er wirkte schwach. Sein Gesicht war von Hunger und Angst
    gezeichnet. Der Rebell stieß den alten Mann zu Boden, hielt ihm ein Gewehr an den Kopf und befahl ihm aufzustehen.
    Mit zitternden Knien gelang es dem alten Mann, sich hinzustellen. Die Rebellen lachten ihn aus und zwangen uns, indem sie auf uns zielten, mit ihnen zu lachen. Ich lachte laut, aber innerlich weinte ich. Meine Beine und Hände zitterten.
    Ich ballte die Fäuste, doch das verschlimmerte das Zittern nur noch. Alle Gefangenen standen unter vorgehaltenen Waffen
    da und wurden Zeugen, wie die Rebellen sich daran mach-
    ten, den alten Mann auszufragen.
    »Wieso bist du aus Mattru Jong geflohen?« fragte ein Re-
    bell und musterte dabei sein Bajonett. Mit den Fingern maß 37
    er die Länge des Messers und verglich diese mit dem Hals des alten Mannes.
    »Passt offenbar perfekt.« Er machte eine Bewegung, als
    wollte er dem alten Mann das Bajonett durch den Hals treiben.
    »Wirst du meine Frage beantworten?« Die Adern auf sei-
    ner Stirn traten hervor, als er mit grausamen, geröteten Augen das bebende Gesicht des alten Mannes betrachtete, dessen Augenlider unkontrolliert zitterten. Vor dem Krieg hätte ein junger Mann nicht gewagt, so zu einem Älteren zu sprechen.
    Wir waren in einer Kultur aufgewachsen, in der von jeder-
    mann gutes Benehmen verlangt wurde, ganz besonders von
    den Jüngeren. Man erwartete von Jugendlichen, dass sie Ältere und alle anderen Menschen in der Gemeinschaft respek-
    tierten.
    »Ich habe die Stadt verlassen, weil ich meine Familie ge-
    sucht habe«, sagte der alte Mann mit ängstlicher Stimme und rang mühsam nach Luft. Der Rebell mit dem halbautomatischen Maschinengewehr, der an einen Baum gelehnt eine
    Zigarette geraucht hatte, kam wütend auf den alten Mann zu und richtete sein Gewehr zwischen dessen Beine.
    »Du bist weg aus Mattru Jong, weil du uns nicht magst.«
    Er hielt dem alten Mann das Gewehr an die Stirn und fuhr
    fort: »Du bist weg, weil du gegen die Ziele der Freiheits-kämpfer bist. Stimmt’s?«
    Der alte Mann schloss die Augen und fing an zu schluch-
    zen.
    »Welche Ziele?«, dachte ich. Ich nutzte die einzige Frei-
    heit, die ich in diesem Moment besaß, und machte mir meine eigenen Gedanken. Die konnten sie nicht lesen. Während die Befragung weiterging, malte einer der Rebellen die Buchsta-ben RUF an alle Hauswände des Dorfes. Er war der schlam-
    pigste Maler, den ich je gesehen hatte. Ich glaube nicht, dass er überhaupt buchstabieren konnte. Er wusste wahrscheinlich wirklich nur, wie ein R, ein U und ein F aussahen. Als er mit dem Pinseln fertig war, kam er zu dem alten Mann und hielt ihm sein Gewehr an den Kopf.
    »Willst du noch irgendwelche letzten Worte sagen?« An

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    diesem Punkt war der alte Mann nicht mehr in der Lage zu
    sprechen. Seine Lippen bebten, aber er brachte kein Wort
    heraus. Der Rebell drückte den Abzug, und wie einen Blitz sah ich einen Feuerfunken aus der Mündung treten. Ich
    wandte den Blick zu Boden. Meine Knie zitterten und mein
    Herz schlug schneller und lauter. Als ich wieder hinsah, drehte sich der alte Mann im Kreis wie ein Hund, der versucht, eine Fliege auf seinem Schwanz zu erwischen. Immer wieder schrie er: »Mein Kopf! Mein Kopf!« Die Rebellen lachten ihn aus. Schließlich hörte er auf und hob langsam die Hände an sein Gesicht wie jemand, der zögerlich in einen Spiegel
    schaut. »Ich kann sehen! Ich kann hören!«, rief er und verlor das Bewusstsein. Es stellte sich heraus, dass die Rebellen ihn gar nicht erschossen, sondern nur sehr nah an seinem Kopf vorbeigefeuert hatten. Die Reaktion des alten Mannes

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