Rueckkehr ins Leben
folgenden Tagen nicht besser
würde, mit ihrem restlichen Hab und Gut zu folgen, deshalb rührten wir uns nicht vom Fleck.
In jener Nacht merkte ich zum ersten Mal in meinem Le-
ben, dass es die physische Präsenz von Menschen und ihren 25
Seelen ist, die eine Stadt lebendig macht. Dass so viele Menschen einfach fort waren, machte die Stadt unheimlich, die Nacht dunkler und die Stille so beunruhigend, dass es schier unerträglich war. Normalerweise sangen die Grillen und die Vögel am Abend, bevor die Sonne unterging. Diesmal war
das anders und die Dunkelheit setzte sehr schnell ein. Der Mond zeigte sich nicht am Himmel, die Luft stand unbeweglich, gerade so, als fürchtete sich selbst die Natur vor dem, was geschah.
Der Großteil der Bevölkerung befand sich seit einer Wo-
che in den Verstecken, und nachdem weitere Boten einget-
roffen waren, versteckten sich noch mehr Menschen. Aber an dem Tag, für den sie sich angekündigt hatten, kamen die Rebellen nicht. Das Ergebnis war, dass die Menschen wieder in die Stadt zurückzogen. Kaum hatten sich alle wieder einge-richtet, wurde ein weiterer Bote geschickt. Diesmal war es ein bekannter katholischer Bischof, der als Missionar unterwegs gewesen war, als er den Rebellen begegnete. Sie taten dem Bischof nichts an, drohten ihm aber, sie würden kommen und ihn holen, falls er ihre Nachricht nicht ablieferte.
Kaum hatten die Menschen die Botschaft erhalten, verließen sie erneut die Stadt und begaben sich in ihre Verstecke in den Wäldern. Wieder ließ man uns zurück, diesmal nicht, um die Habseligkeiten von Khalilous Familie zu tragen, denn die
hatten wir bereits in das Versteck gebracht, sondern damit wir uns um das Haus kümmerten und einige Lebensmittel wie
Salz, Pfeffer, Reis und Fisch kauften, die wir Khalilous Familie bringen sollten.
Weitere zehn Tage in den Verstecken vergingen, ohne
dass die Rebellen eintrafen. Es schien jetzt sicher zu sein, dass sie überhaupt nicht mehr kommen würden. Die Stadt erwachte wieder zum Leben. In den Schulen wurde wieder
Unterricht abgehalten und die Menschen fanden in ihren
normalen Alltag zurück. Fünf Tage vergingen so friedlich.
Sogar die Soldaten in der Stadt entspannten sich.
Manchmal ging ich spät abends alleine spazieren. Der
Anblick der Frauen, die das Essen zubereiteten, erinnerte mich an die Zeit, als ich meiner Mutter beim Kochen zuge-26
sehen hatte. Eigentlich hatten Jungs in der Küche nichts zu suchen, aber für mich machte sie eine Ausnahme. Sie meinte:
»Du musst kochen lernen für dein Palampo * -Leben.« Dann hielt sie inne, gab mir ein Stück Trockenfisch und fuhr fort:
»Ich möchte ein Enkelkind. Also bleib nicht ewig Palampo.«
Tränen traten mir in die Augen, während ich über die
schmalen Kieswege von Mattru Jong schlenderte.
Als die Rebellen endlich kamen, kochte ich gerade. Der
Reis war gar und die Okrasuppe fertig, als ich einen einzelnen Gewehrschuss hörte, der durch die Stadt hallte. Junior, Talloi, Kaloko, Gibrilla und Khalilou, die im Zimmer waren, rannten nach draußen. »Hast du das gehört?« fragten sie. Wir rührten uns nicht und versuchten herauszufinden, ob die Soldaten den Schuss abgegeben hatten. Eine Minute später wurden drei verschiedene Gewehre schnell hintereinander abgefeuert. Jetzt machten wir uns ernsthaft Sorgen. »Das sind nur die Soldaten, die ihre Waffen testen«, versicherte uns einer unserer Freunde. In der Stadt wurde es sehr still und 15 Minuten lang hörte man keine Schüsse mehr. Ich ging wieder in die Küche und verteilte den Reis auf die Teller. In diesem Moment hallten mehrere Gewehrschüsse durch die Stadt, die wie Donner auf einem Blechdach klangen. Das Geräusch der
Gewehre erschreckte und verwirrte alle. Niemand war in der Lage, klar zu denken. Innerhalb von Sekunden fingen die
Leute an zu schreien, in verschiedene Richtungen davonzu-
rennen und über die zu Boden Gefallenen hinwegzutram-
peln. Niemand hatte Zeit, irgendetwas mitzunehmen. Alle
rannten um ihr Leben. Mütter verloren ihre Kinder, deren
verzweifelte, traurige Schreie sich in das Geräusch der Schüsse mischten. Familien wurden getrennt und ließen alles zurück, für das sie ein Leben lang gearbeitet hatten. Mein Herz schlug schneller als je zuvor. Jeder Schuss brannte sich in meinem Herzen ein.
Die Rebellen feuerten in die Luft, schrien und tänzelten
fröhlich im Halbkreis durch die Stadt. Es gibt zwei Möglichkeiten, nach Mattru Jong zu gelangen. Einmal den Weg
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