Rueckkehr ins Leben
sicherzuge-29
hen, dass ich nicht zurückblieb. Ich konnte die Traurigkeit in seiner Stimme hören, und jedes Mal, wenn ich antwortete,
bebte meine Stimme. Gibrilla, Kaloko und Khalilou waren
hinter mir. Ihr Atem ging schwer, und ich konnte hören, wie einer von ihnen schluchzte und versuchte, sein Weinen zu
unterdrücken. Talloi war schon immer ein sehr schneller
Läufer gewesen. Aber an jenem Abend konnten wir mithal-
ten. Nachdem wir eine Stunde oder vielleicht sogar länger gerannt waren, gaben die Rebellen die Jagd auf und kehrten nach Mattru Jong zurück. Wir liefen einfach immer weiter.
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Mehrere Tage lang wanderten wir zu sechst auf einem
schmalen Pfad, der nur ungefähr 40 Zentimeter breit und auf beiden Seiten von dichtem Gebüsch gesäumt war. Junior ging vor mir, und ich sah, dass seine Hände nicht wie sonst
schlenkerten, wenn er auf dem Nachhauseweg von der Schu-
le über den Hof schlenderte. Ich wollte wissen, was er dachte, aber niemand sagte ein Wort, und auch ich wusste nicht, wie ich das Schweigen brechen sollte. Ich dachte daran, wo meine Familie sein mochte, ob ich sie je wieder sehen würde, und hoffte, dass sie in Sicherheit war und sich nicht allzu viele Sorgen wegen Junior und mir machte. Tränen traten mir in
die Augen, aber zum Weinen war ich zu hungrig. Wir schliefen in verlassenen Dörfern, wo wir uns auf den blanken Boden legten und hofften, am nächsten Tag etwas anderes zu
essen zu finden als rohen Maniok. Wir kamen durch ein
Dorf, in dem es Bananenstauden, Orangenbäume und Ko-
kospalmen gab. Khalilou, der besser klettern konnte als wir alle, stieg auf jeden dieser Bäume und pflückte so viel er konnte. In einer der Freiluftküchen brannte noch ein Feuer.
Offenbar hatte uns jemand kommen gesehen und erst kurz
zuvor das Dorf verlassen. Wir legten Holz nach und kochten die Bananen. Sie schmeckten überhaupt nicht gut, weil es
kein Salz oder andere Gewürze gab, aber wir aßen alles
komplett auf, damit wir überhaupt etwas im Magen hatten.
Danach aßen wir ein paar Orangen und ein bisschen Kokos-
nuss. Wir konnten nichts Besseres finden. Wir wurden von
Tag zu Tag hungriger, so sehr, dass wir Magenschmerzen
bekamen und manchmal nur noch verschwommen sahen.
Wir hatte keine andere Wahl, als uns mit ein paar anderen, 31
die wir auf dem Pfad getroffen hatten, wieder nach Mattru Jong hineinzuschleichen und das Geld zu holen, das wir zu-rückgelassen hatten, damit wir Essen kaufen konnten.
Auf dem Weg durch die stille und beinahe ausgestorbene
Stadt, die nun fremd wirkte, sahen wir vergammelte Töpfe
mit Essensresten, die stehen gelassen worden waren. Leichen, Möbel, Kleidung und alle möglichen Gegenstände lagen
überall herum. Auf einer Veranda sahen wir einen alten
Mann, der in einem Stuhl saß, als würde er schlafen. Er hatte eine Schusswunde auf der Stirn, und unter der Veranda lagen die Leichen zweier Männer, deren Genitalien, Gliedmaßen
und Hände mit einer Machete abgehackt worden waren, die
nun neben dem Haufen aufgetürmter Körperteile auf dem
Boden lag. Ich übergab mich und fühlte mich fiebrig, aber wir mussten weiter. Wir liefen auf Zehenspitzen und so
schnell und vorsichtig wir konnten, mieden die Hauptstra-
ßen. Wir pressten uns an Hauswände und inspizierten die
schmalen Kieswege zwischen den Häusern, bevor wir zum
nächsten Haus hinübersprangen. Einmal, kaum dass wir eine Straße überquert hatten, hörten wir Schritte. Es gab keine Deckung, deshalb rannten wir auf eine der Veranden und
versteckten uns hinter aufgestapelten Zementsteinen. Wir
lugten hinter den Steinen hervor und sahen zwei Rebellen in ausgebeulten Hosen, Flipflops und weißen T-Shirts. Sie hatten rote Tücher um die Köpfe gebunden und trugen ihre
Gewehre auf dem Rücken. Sie eskortierten eine Gruppe jun-
ger Frauen, die Kochtöpfe trugen, Säcke mit Reis, Mörser
und Stößel. Wir beobachteten sie, bis sie außer Sichtweite waren, dann gingen wir weiter. Endlich kamen wir bei Khalilous Zuhause an. Alle Türen waren aufgebrochen, und das
Haus war auseinandergenommen worden. Wie alle anderen
Häuser in der Stadt war es geplündert worden. Im Türrah-
men steckte eine Kugel, Glasscherben mit dem Logo von
Star-Beer, einer beliebten Marke, und leere Zigaretten-
schachteln lagen auf dem Boden der Veranda verstreut. Im
Haus befand sich nichts, was nützlich hätte sein können. Das einzig Essbare war roher Reis in Säcken, die zu schwer zum Tragen waren,
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