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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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wehtat
    und wir Bauchkrämpfe bekamen. Es war, als würden unsere
    Mägen von innen aufgefressen werden. Unsere Lippen waren
    trocken, unsere Glieder waren schwach und schmerzten.
    Wenn ich mir in die Seite fasste, spürte ich meine Rippen.
    Wir wussten nicht, wo wir etwas Essbares herbekommen
    sollten. Die Maniokfarm, über die wir hergefallen waren,
    konnte uns nicht lange bei Kräften halten. Vögel oder Tiere –
    wie etwa Hasen – entdeckten wir keine. Wir waren reizbar
    und setzten uns weit voneinander entfernt hin, als würde uns das Aufeinanderhocken noch hungriger machen.
    Eines Abends jagten wir einen kleinen Jungen, der ganz
    alleine zwei gekochte Maiskolben aß. Er war ungefähr fünf Jahre alt und ließ es sich schmecken, hielt in jeder Hand einen Maiskolben und biss abwechselnd hinein. Wir sagten
    kein Wort und sahen einander nicht einmal an. Wir sprangen gleichzeitig auf den Jungen zu, und noch bevor er wusste, wie ihm geschah, hatten wir ihm beide Maiskolben abgenommen. Wir teilten uns den Mais zu sechst und aßen unsere winzigen Portionen auf, während der Junge weinte und zu
    seinen Eltern rannte. Die Eltern des Jungen stellten uns wegen des Vorfalls nicht zur Rede. Ich nehme an, sie wussten, dass sechs Jungen, die sich wegen zwei Maiskolben auf ihren Sohn stürzten, entsetzlich hungrig sein mussten. Später am Abend schenkte die Mutter des Jungen jedem von uns einen Maiskolben. Ein paar Minuten lang hatte ich deshalb ein schlechtes Gewissen, aber in unserer Lage hatte Reue keinen Platz.
    Ich weiß nicht, wie das Dorf hieß, in dem wir uns befan-
    den, und machte mir auch nicht die Mühe, danach zu fra-

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    gen, denn ich war damit beschäftigt, die alltäglichen Hin-dernisse zu meistern. Wir kannten keine anderen Städte und Dörfer und wie man dorthin gelangen konnte. Deshalb trieb uns der Hunger wieder nach Mattru Jong. Es war gefährlich, aber wir waren so hungrig, dass uns schon fast alles egal war.
    Es war Sommer, Trockenzeit, und das Weideland färbte sich bereits gelblich, doch der Wald, der es umgab, war saftig und grün.
    Wir befanden uns mitten auf dem Weideland und liefen
    einzeln hintereinander her, unsere Hemden auf den Schultern oder den Köpfen, als sich plötzlich drei Rebellen aus dem trockenen Gras erhoben und ihre Gewehre auf Gibrilla richteten, der als erster ging. Sie spannten die Gewehre und hielten Gibrilla die Mündung unters Kinn. »Der hat Schiss wie’n nasser Affe«, erklärte der Rebell seinen Begleitern lachend.
    Als die anderen beiden an mir vorbeigingen, mied ich den
    Blickkontakt und senkte den Kopf. Der jüngere Rebell hob
    meinen Kopf mit seinem Bajonett, das noch in seiner Scheide steckte. Während er mich streng ansah, zog er das Bajonett aus der Scheide und pflanzte es auf sein Gewehr. Ich zitterte so heftig, dass meine Lippen bebten. Er lächelte kalt. Die Rebellen, von denen keiner älter sein mochte als einundzwanzig Jahre, gingen mit uns zurück in das Dorf, das wir gerade hinter uns gelassen hatten. Einer trug ein ärmelloses Armeehemd und Jeans und hatte ein rotes Tuch um den Kopf gebunden.
    Die anderen beiden trugen Jeansjacken und Hosen, Baseball-kappen, die sie verkehrt herum aufgesetzt hatten, und neue Sportschuhe von Adidas. Alle drei hatten schicke Uhren an beiden Handgelenken, die sie Leuten abgenommen oder bei
    der Plünderung von Häusern und Läden erbeutet hatten.
    Die Rebellen redeten unterwegs miteinander. Egal was sie
    sagten, es klang nicht freundlich. Ich verstand ihre Worte nicht, weil ich an nichts anderes denken konnte als an den Tod. Ich strengte mich an, nicht in Ohnmacht zu fallen.
    Als wir uns dem Dorf näherten, rannten zwei der Rebel-
    len voraus. Wir sind zu sechst gegen nur einen Rebellen,
    dachte ich. Aber er hatte ein halbautomatisches Maschinengewehr und einen langen Patronengürtel über der Schulter

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    hängen. Er ließ uns in zwei Dreierreihen gehen, die Hände über dem Kopf. Er ging hinter uns, zielte mit dem Gewehr
    auf unsere Köpfe. Und irgendwann sagte er: »Wenn sich ei-
    ner von euch bewegt, bringe ich alle um. Also versucht möglichst nicht zu heftig zu atmen, sonst könnte das euer letzter Atemzug gewesen sein.« Er lachte und seine Stimme hallte in der Ferne im Wald wieder. Ich betete, dass meine Freunde
    und mein Bruder keine plötzlichen Bewegungen machen und
    sich nicht kratzen würden. An meinem Hinterkopf wurde es
    heiß, als erwartete er jederzeit eine Kugel.
    Als wir das Dorf erreichten, hatten die

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