Rueckkehr ins Leben
rollen,
aber dadurch wurde es noch schlimmer.
»Seid ihr Rebellen oder Spione?« Der Häuptling stampfte
mit seinem Stab auf den Boden.
»Weder noch.« Unsere Stimmen zitterten.
Der Häuptling wurde sehr wütend. »Wenn ihr nicht die
Wahrheit sagt, lasse ich euch von diesen Männern Steine um-binden und euch in den Fluss werfen«, brüllte er.
Wir erzählten ihm, wir seien Schüler und alles sei ein gro-
ßes Missverständnis.
Die Menge schrie: »Ertränkt die Rebellen.«
Die Wachen traten in den Kreis und durchsuchten unsere
Taschen. Einer fand eine Rapkassette in meiner Tasche und übergab sie dem Häuptling. Der verlangte, dass sie abgespielt wurde.
You down with O.P.P. (Yeah you know me)
You down with O.P.P. (Yeah you know me)
You down with O.P.P. (Yeah you know me)
Who’s down with O.P.P. (Every last homie) *
Der Häuptling schaltete die Musik aus. Er fuhr sich über den Bart, dachte nach.
»Erzählt mal«, sagte er an mich gewandt, »wie ihr an diese ausländische Musik gekommen seid?«
Ich erklärte ihm, dass wir rappten. Er wusste nicht, was
Rapmusik war, deshalb erklärte ich es ihm so gut ich konnte.
»Das ist so ähnlich wie wenn man Fabeln erzählt, aber in der Sprache des weißen Mannes«, schloss ich. Ich erklärte ihm außerdem, dass wir Tänzer waren und eine Gruppe in Mattru Jong hatten, wo wir auch in die Schule gegangen waren.
* aus dem Lied »O.P.P.« von Naughty By Nature
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»Mattru Jong?«, fragte er und rief einen jungen Mann, der von dort stammte. Der Junge wurde vor den Häuptling gerufen und gefragt, ob er uns kannte und ob er je gehört habe, wie wir Fabeln in der Sprache des weißen Mannes aufsagten.
Er kannte meinen Namen, den meines Bruders und auch die
meiner Freunde. Er erinnerte sich sogar an Auftritte, die wir gehabt hatten. Keiner von uns kannte ihn, nicht einmal vom Sehen, aber wir lächelten ihm freundlich zu, als hätten auch wir ihn erkannt. Er hatte uns das Leben gerettet.
Man nahm uns die Fesseln ab und wir bekamen etwas
Maniok und geräucherten Fisch zu essen. Wir aßen, dankten den Dorfbewohnern und machten uns bereit, weiterzuziehen.
Der Häuptling und einige der Männer, die uns Hände und
Füße gefesselt hatten, boten uns an, im Dorf zu bleiben. Wir bedankten uns für ihre Großzügigkeit und gingen dennoch,
denn wir wussten, dass die Rebellen auch dieses Dorf erreichen würden.
Wir bewegten uns langsam auf einem Pfad durch dichten
Wald. Die Bäume schwankten zögerlich im stillen Wind. Der Himmel sah aus, als sei er von Rauch erfüllt, endlosem grauen Rauch, der die Sonne trüb wirken ließ. Ungefähr bei
Sonnenuntergang erreichten wir ein verlassenes Dorf mit
sechs Lehmhütten. Wir setzten uns auf einer der Veranden
auf den Boden. Ich sah Junior an, dessen Gesicht ganz verschwitzt war. Er war in letzter Zeit sehr still gewesen. Er sah auch mich an und lächelte ein wenig, dann wurde sein Gesicht wieder ausdruckslos. Er stand auf und ging hinaus in den Hof. Dort stand er und starrte in den Himmel, ohne sich
auch nur im Geringsten zu bewegen, bis die Sonne ver-
schwunden war. Auf dem Weg zurück zur Veranda hob er
einen Stein auf und spielte den ganzen Abend damit. Ich sah ihn immer wieder an, hoffte, ich könnte noch einmal seinen Blick einfangen. Vielleicht würde er mir dann verraten, was in seinem Kopf vor sich ging. Aber er sah nicht hoch. Er spielte nur mit dem Stein in seiner Hand und starrte auf den Boden.
Einmal hatte mir Junior beigebracht, wie man Steine über
den Fluss springen lässt. Wir waren Wasser holen gegangen und er hatte mir erzählt, er habe einen neuen Zauber erlernt, 45
mit dem er Steine übers Wasser laufen lassen könne. Er bog sich seitlich, warf dabei Steine, von denen jeder ein wenig weiter über das Wasser hüpfte als der vorhergehende. Er
meinte, ich solle es auch versuchen, aber ich konnte es nicht.
Er versprach, mir den Zauber ein anderes Mal beizubringen.
Als wir mit Eimern voller Wasser auf den Köpfen zurück
nach Hause liefen, rutschte ich aus und fiel hin, verschüttete das Wasser. Junior gab mir seinen Eimer, er nahm den leeren und ging noch einmal zum Fluss zurück. Als er nach Hause
kam, fragte er mich als Erstes, ob ich mich bei meinem Sturz verletzt hatte. Ich sagte, es sei alles in Ordnung, aber er untersuchte trotzdem meine Knie und Ellbogen, und als er fertig war, kitzelte er mich durch. Als ich ihn an jenem Abend auf der Veranda eines Hauses in einem unbekannten Dorf so
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