Rueckkehr ins Leben
da-sitzen sah, wünschte ich, er würde mich fragen, ob alles in Ordnung sei.
Gibrilla, Talloi, Kaloko und Khalilou blickten auf die
Wipfel der Bäume des Waldes, der das Dorf umgab. Gibrillas Nase zuckte, als er mit dem Kinn auf den Knien dasaß. Wenn er ausatmete, bewegte sich sein ganzer Körper. Talloi tappte unaufhörlich mit dem Fuß auf den Boden, als wolle er sich von seinen Gedanken ablenken. Kaloko war unruhig. Er
konnte nicht still sitzen und veränderte immer wieder seine Position, wobei er jedes Mal seufzte. Khalilou saß still da.
Sein Gesicht zeigte keine Regung und sein ganzes Wesen
schien seinen Körper verlassen zu haben und irgendwo he-
rumzuirren. Ich wollte wissen, wie es Junior ging, aber ich fand nicht den richtigen Augenblick, um das Schweigen dieses Abends zu brechen. Heute wünsche ich mir, es wäre mir gelungen.
Am folgenden Morgen kam eine große Gruppe von Leu-
ten durch das Dorf. Unter den Reisenden befand sich eine
Frau, die Gibrilla kannte. Sie erzählte ihm, seine Tante sei in einem Dorf, ungefähr 50 Kilometer weit von uns entfernt.
Sie beschrieb den Weg. Wir stopften uns die Taschen mit
unreifen Orangen voll, die sauer waren und eigentlich ungenießbar, aber sie waren die einzige Nahrung, die uns zur Verfügung stand, und so machten wir uns auf den Weg.
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Kamator lag sehr weit von Mattru Jong entfernt, das noch
immer von den Rebellen kontrolliert wurde. Trotzdem blie-
ben die Dorfbewohner wachsam und jederzeit bereit zu ver-
schwinden. Als Gegenleistung für Essen und Schlafplätze
wurden wir sechs als Wachen eingeteilt. Etwa 5 Kilometer
vom Dorf entfernt befand sich ein großer Hügel. Von dessen Gipfel aus konnte man fast 2 Kilometer weit den Pfad zum
Dorf einsehen. Auf dem Gipfel des Hügels hielten wir Wache von frühmorgens bis abends, wenn es dunkel wurde. Das
ging ungefähr einen Monat lang so, ohne dass etwas geschah.
Wir kannten die Rebellen gut genug, um auf ihre Ankunft
gefasst zu sein. Aber unsere Wachsamkeit litt darunter, dass die Zeit nur langsam verstrich.
Die Pflanzzeit rückte näher. Der erste Regen war gefallen, hatte die Erde aufgeweicht. Vögel bauten Nester in den
Mangobäumen. Jeden Morgen bildete sich Tau, benetzte die
Blätter und weichte den Boden auf. Der Geruch der feuchten Erde war mittags unwiderstehlich stark. Am liebsten hätte ich mich auf dem Boden gewälzt. Einer meiner Onkel hatte immer gescherzt, er wolle unbedingt in dieser Jahreszeit sterben.
Die Sonne ging früher auf als sonst und stand so hell wie nie am blauen, beinahe wolkenlosen Himmel. Das Gras seitlich
des Pfads war halb trocken und halb grün. Auf dem Boden
sah man Ameisen, die Nahrung in ihre Höhlen schleppten.
Obwohl wir versuchten, sie vom Gegenteil zu überzeugen,
waren die Dorfbewohner allmählich sicher, dass die Rebellen nicht mehr kommen würden, und orderten uns von unseren
Späherposten auf die Felder ab. Das fiel mir nicht leicht.
Ich hatte die Kunst des Ackerbaus immer nur aus der Fer-
ne beobachtet, weshalb mir bis zu jenen kurzen Monaten im Jahr 1993, die ich im Dorf Kamator beim Getreideanbau helfen musste, nicht klar gewesen war, wie schwer das war. Alle Dorfbewohner waren Bauern, deshalb konnte ich meinem
Schicksal unmöglich entrinnen. Vor dem Krieg, wenn ich
meine Großmutter während der Erntezeit besuchte, bestand
meine einzige Aufgabe darin, vor Erntebeginn den Wein um
die Farm herum auf die Erde zu gießen, was Teil einer Zeremonie war, mit der den Ahnen und den Göttern für die
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fruchtbare Erde, den gesunden Reis und ein erfolgreiches
Farmjahr gedankt wurde.
Der erste Auftrag, den man uns übertrug, bestand darin,
ein riesiges Stück Land von der Größe eines Fußballplatzes zu roden. Als ich mir den Busch betrachtete, der gerodet werden sollte, wusste ich, dass harte Tage vor uns lagen. Der Busch war dicht, und viele der Palmen waren von Bäumen mit ineinander verflochtenen Ästen umgeben. Es war schwierig, an sie heranzukommen und sie zu fällen. Der Boden war mit
verrotteten Blättern bedeckt, die die oberste Schicht der braunen Erde dunkel färbten. Man hörte, wie sich Termiten unter den fauligen Blättern zu schaffen machten. Jeden Tag duckten wir uns unter die Büsche, schwangen Macheten und
Äxte gegen die Bäume und Palmen, die tief über dem Boden
abgeschnitten werden mussten, damit sie nicht so schnell
wieder nachwuchsen und die noch auszubringende Saat stör-
ten. Manchmal, wenn wir die Macheten
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