Rueckkehr ins Leben
da. Er er-zählte, als sie bemerkt hätten, dass sich Rebellen im Dorf befanden, hätten alle rasch und leise, einer nach dem anderen die Moschee verlassen, sodass nur noch der Imam zurückblieb, der alleine das Gebet vorsprach. Einige versuchten, ihm noch etwas zuzuflüstern, aber er ignorierte sie. Die Rebellen nahmen ihn gefangen und versuchten ihm abzuringen, in
welchem Teil des Waldes sich die Menschen versteckten,
aber der Imam weigerte sich, es ihnen zu verraten. Sie fesselten ihn mit Draht an Händen und Füßen, banden ihn an ei-
nen Eisenpfahl und steckten seinen Körper in Brand. Sie verbrannten ihn nicht vollständig, aber das Feuer tötete ihn. Seine halb verkohlten Überreste blieben auf dem Dorfplatz liegen. Kaloko sagte, er habe dies von einem nahe gelegenen
Gebüsch aus gesehen, in dem er sich versteckt hatte.
Während des Angriffs befand sich Junior im Verandazim-
mer, in dem wir sonst zu fünft schliefen. Ich war draußen, saß auf den Stufen. Ich hatte keine Zeit mehr, nach ihm zu sehen, denn der Überfall kam plötzlich, und ich rannte in die 51
Büsche. In jener Nacht schlief ich alleine, an einen Baum gelehnt. Am Morgen fand ich Kaloko, gemeinsam kehrten
wir in das Dorf zurück. Der halb verbrannte Leichnam des
Imam lag, wie ihn Kaloko beschrieben hatte, dort auf dem
Dorfplatz. An der Art, wie er die Zähne bleckte, sah ich, welche Schmerzen er gehabt haben musste. Alle Häuser waren
niedergebrannt. Nirgends gab es ein Lebenszeichen. Wir
suchten im dichten Wald nach Junior und unseren Freunden, aber sie waren nirgendwo zu finden. Wir begegneten zufällig einer Familie, die wir kannten, und sie erlaubte uns, dass wir uns mit ihnen im Gebüsch beim Sumpf versteckten. Wir
blieben zwei Wochen lang bei ihnen, zwei Wochen, die mir
wie Monate vorkamen. Jeder Tag verging sehr langsam, und
ich dachte darüber nach, welche anderen Möglichkeiten wir hatten. War ein Ende dieses Wahnsinns in Sicht, und gab es jenseits des Busches eine Zukunft für mich? Ich dachte an Junior, Gibrilla, Talloi und Khalilou. Hatten sie vor dem Angriff fliehen können? Ich war dabei, alle zu verlieren, meine Familie, meine Freunde. Ich erinnerte mich, wie ich mit meiner Familie nach Mogbwemo gezogen war. Mein Vater
hatte unser neues Zuhause zeremoniell gesegnet. Er hatte
unsere neuen Nachbarn eingeladen, war aufgestanden und
hatte gesagt: »Ich bete zu den Göttern und Ahnen, dass meine Familie immer zusammen sein wird.« Er sah uns an, meine
Mutter hielt meinen kleinen Bruder, während Junior und ich nebeneinander standen, jeder mit einem Sahnebonbon im
Mund.
Einer der Älteren stand auf und ergänzte die Worte mei-
nes Vater, indem er sagte: »Ich bete zu den Göttern und Ahnen, dass deine Familie immer zusammenbleibt, auch wenn
einer von euch in die Geisterwelt übergeht. Auf die Familie und die Gemeinschaft.« Der alte Mann hob die geöffneten
Hände hoch. Mein Vater kam herüber und stand neben mei-
ner Mutter und machte Junior und mir ein Zeichen, näher zu kommen. Das taten wir und mein Vater legte die Arme um
uns. Die Versammelten klatschen. Ein Fotograf machte ein
paar Schnappschüsse von der Szene.
Ich presste die Finger auf die Augenlider, um die Tränen
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zurückzuhalten und wünschte, meine Familie wäre wieder
zusammen. Wir gingen alle drei Tage zurück nach Kamator,
um zu sehen, ob die Menschen zurückkehrten, aber all unsere Besuche waren vergebens; es gab keinerlei Anzeichen für
Leben. Die Stille im Dorf war unheimlich. Ich fürchtete
mich, wenn der Wind wehte und die strohgedeckten Dächer
bewegte. Dann hatte ich das Gefühl, meinen Körper verlassen zu haben und herumzuwandern. Es gab keinerlei Fußspuren.
Nicht einmal eine Eidechse wagte sich ins Dorf. Die Vögel und Grillen sangen nicht mehr. Ich hörte meine Schritte lauter als meinen Herzschlag. Wir nahmen Besen bei diesen
Ausflügen mit, um unsere Fußabdrücke zu verwischen und
zu verhindern, dass wir bis zurück in unsere Verstecke verfolgt wurden. Als ich das letzte Mal mit Kaloko ins Dorf ging, machten sich gerade Hunde an den verbrannten Überresten
des Imams zu schaffen. Über ihnen kreisten Geier und bereiteten sich zum Sturzflug auf den toten Körper vor.
Das Leben in ständiger Angst laugte mich vollkommen
aus. Ich hatte das Gefühl, immer nur darauf zu warten, dass mich der Tod erwischte, und ich beschloss, irgendwohin zu gehen, wo es wenigstens ein bisschen Frieden gäbe. Kaloko fürchtete sich
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