Rueckkehr ins Leben
Händen die AK-47. Ich zö-
gerte kurz, aber er drückte sie mir an die Brust. Mit bebenden Händen nahm ich die Kalaschnikow, salutierte und rann-te ans hintere Ende der Schlange, hielt das Gewehr fest, traute mich aber nicht, es anzusehen. Ich hatte noch nie so lange ein Gewehr in Händen gehalten, und es machte mir Angst. Das
Einzige, was auch nur entfernt daran herankam, war ein
Spielzeuggewehr aus Bambus gewesen, mit dem ich gespielt
hatte, als ich elf Jahre alt war. Meine Spielkameraden und ich hatten solche Gewehre geschnitzt und in den Kaffeeplantagen und den Rohbauten der Häuser im Dorf meiner Großmutter
Krieg gespielt. »Peng-Peng«, hatten wir gerufen, und wer
zuerst gerufen hatte, würde anschließend dem Rest mitteilen, wer nun tot war.
Wir setzten das Training fort, diesmal jedoch mit den Ka-
laschnikows, die allerdings nicht geladen waren. Wir krochen mit den Gewehren auf dem Rücken oder in den Armen he-128
rum und rannten mit ihnen um das Gebäude. Die Gewehre
waren ein wenig zu schwer für Sheku und Josiah, die sie immer wieder fallen ließen und im Rennen wieder aufhoben.
Wir machten einige Minuten Mittagspause und begannen mit
einer neuen Übung. Wir wurden zu einer nahe gelegenen
Bananenplantage geführt, wo wir die Bananenstauden mit
Bajonetten erstachen. »Stellt euch vor, die Bananenstaude ist der Feind, der Rebell, der eure Eltern, eure Familie getötet hat und der für alles verantwortlich ist, was euch widerfahren ist«, schrie der Corporal. »Stecht ihr so auf jemanden ein, der eure Familie auf dem Gewissen hat?«, fragte er. »Ich würde das so machen.« Er zog sein Bajonett, schrie laut und stach auf die Bananenstaude ein. »Zuerst steche ich ihm in den Bauch, dann in den Hals, zum Schluss ins Herz, das schneide ich heraus und zeige es ihm, dann reiße ich ihm die Augen aus.
Denkt immer dran: Wahrscheinlich hat er eure Eltern auf
entsetzlichere Weise getötet. Los, weiter!« Er wischte das Messer mit Bananenblättern ab. Nachdem er uns so motiviert hatte, waren wir alle wütend und rammten unsere Messer in die Bananenstauden, bis sie zu Boden gingen. »Gut«, sagte er und nickte. Irgendetwas ließ ein lang anhaltendes Lächeln auf seinem Gesicht erscheinen, wie wir es von ihm nicht gewohnt waren. Immer und immer wieder sagte er während
des Trainings denselben Satz: Stellt euch den Feind vor, den Rebellen, der eure Eltern, eure Familie getötet hat und der für alles verantwortlich ist, was euch widerfahren ist.
An jenem Nachmittag lernten wir, wie man das Magazin
in das Gewehr einsetzt und anderes Grundlagenwissen. Ver-
gesst das Sichern, sagte er, das kostet nur Zeit. An jenem Abend lernten wir zu schießen. Wir zielten auf Sperrholzplat-ten, die in den Ästen kleiner Bäume am Waldrand aufgestellt waren. Sheku und Josiah waren nicht stark genug, um ihre
Waffen aus eigener Kraft zu halten, deshalb gab der Corporal jedem von ihnen einen Barhocker, auf dem sie ihre Waffen
abstützen konnten. Am Ende der Schießübung wurde uns
beigebracht, wie wir unsere Gewehre auseinandernehmen
und ölen mussten, denn die AKs waren so alt, dass sie gelegentlich einfach so losgingen oder gar nicht mehr funktio-129
nierten. An jenem Abend waren meine Zeltkameraden einge-
schlafen, kaum dass wir uns hingelegt hatten. Statt wie sonst im Schlaf zu lächeln, sagte Sheku »Peng-Peng-Peng« und
Josiah raunte: »eins, zwei«, denn das hatten wir gerufen, als wir die Bananenstauden erstachen. Obwohl ich erschöpft
war, konnte ich nicht einschlafen. In meinen Ohren dröhnte der Klang der Gewehre, mein Körper schmerzte, und mein
Zeigefinger war wund. Den ganzen Tag über war keine Zeit
zum Nachdenken gewesen, aber nun hatte ich Gelegenheit
dazu. Ich konnte wütend werden, mir vorstellen, wie ich
einen Rebellen erschoss oder niederstach. »Die Rebellen sind für alles verantwortlich, was euch widerfahren ist.« Ich stellte mir vor, wie ich mehrere Rebellen gleichzeitig einfing, sie in ein Haus einsperrte, Benzin darübergoss und ein Streichholz daraufwarf. Wir sahen zu, wie es brannte – und ich lachte.
Das Summen eines Jungen namens Lansana lenkte mich
ab. Er lag drei Zelte von mir entfernt. Manchmal summte er vor dem Einschlafen Melodien von Liedern, die ich noch nie gehört hatte. Nach unserer ersten Schießübung hatte er damit angefangen. Seine Stimme hallte im dunklen Wald wider,
und immer, wenn er aufhörte, wurde die Nacht noch stiller.
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Es muss Sonntagmorgen
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