Rueckkehr ins Leben
Schreinerwerkzeug und seine Werkbank,
die draußen stand und fast den ganzen kleinen Hof einnahm.
»Wenn du dich fürs Schreinern interessierst, würde ich
dich gerne als Lehrling einstellen. Aber wenn du eher nach 205
deinem Vater schlägst, wette ich, dass du lieber zur Schule gehen willst«, sagte mein Onkel. Ich lächelte und sagte nichts.
Allie kam zurück und fragte meinen Onkel, ob es in Ord-
nung wäre, wenn ich ihn zu einem Fußballspiel in der Nähe begleiten würde. Mein Onkel erklärte sich einverstanden unter der Voraussetzung, dass ich Lust dazu hätte. Ich ging mit Allie die Straße hinunter zu einem Platz in einem Viertel namens Brookfields.
»Ich freue mich, dass du bei uns wohnen wirst, wir kön-
nen uns mein Zimmer teilen«, sagte Allie, als wir auf den An-pfiff warteten. Er war älter als ich und schon fertig mit der Schule. Er war freundlich und sehr diszipliniert, das merkte man ihm an. Er sprach sehr gut und treffsicher.
Bevor das Spiel begann, winkte uns ein Mädchen von der
anderen Seite des Platzes zu. Sie hatte ein wunderschönes und offenes Lächeln und lachte viel. Ich wollte gerade fragen, wer sie war, als Allie erklärte: »Das ist unsere Cousine, aber sie wohnt auf der anderen Seite der Straße bei einer Pflegefamilie. Ihr Name ist Aminata. Du wirst sie kennen lernen.« Aminata war die Tochter des zweiten Bruders meines Vaters, der aber eine andere Mutter gehabt hatte. Später hatte ich ein engeres Verhältnis zu ihr und Allie als zu den anderen Kindern meiner neuen Familie.
Auf den vielen Spaziergängen mit meinem Onkel erfuhr
ich, dass mein Großvater viele Frauen und mein Vater viele Brüder gehabt hatte, über die er nie sprach. Mein Vater war das einzige Kind seiner Mutter.
Während des Fußballspiels konnte ich an nichts anderes
denken als an die Entdeckung einer Familie, von der ich nie gedacht hatte, dass es sie überhaupt gab. Ich war glücklich, aber ich hatte mich daran gewöhnt, es mir nicht anmerken zu lassen. Allie lachte während des Spiels, aber ich brachte es nicht einmal fertig zu lächeln. Als wir zurückkehrten, wartete mein Onkel auf der Veranda, um mich wieder zum Center
zu bringen. Auf dem Weg zur Bushaltestelle hielt er meine Hand. Ich war die ganze Zeit über still. Ich machte nur den Mund auf, um meinem Onkel für das Fahrgeld zu danken,
das er mir für den Fall mitgab, dass ich meine Familie alleine 206
besuchen wollte. Am Eingang des Centers umarmte mich
mein Onkel, und als wir uns trennten, drehte er sich noch einmal um und sagte: »Wir sehen uns bald wieder, mein
Sohn.«
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Zwei Wochen zuvor hatte mir Leslie mitgeteilt, dass man
mich »wiedereingliedern« und in die normale Gesellschaft
entlassen würde. Ich sollte dann bei meinem Onkel leben.
Jene zwei Wochen kamen mir länger vor als die ganzen acht Monate, die ich in Benin Home verbracht hatte. Die Aus-sicht, in einer Familie zu leben, machte mir Sorgen. Ich war seit Jahren auf mich allein gestellt gewesen und hatte mich um alles selbst gekümmert, ohne mir von irgendjemandem
etwas sagen zu lassen. Ich hatte Angst, dass mein Onkel den Eindruck bekommen könnte, ich sei undankbar, wenn ich
mich von der Familie distanzierte, schließlich war er nicht verpflichtet, mich aufzunehmen. Ich machte mir Sorgen, was passieren würde, wenn mich meine Albträume und meine
Migräne heimsuchten. Wie sollte ich meiner neuen Familie
und besonders den Kindern meine Traurigkeit erklären, die ich nicht verstecken konnte und die sich in meinem ganzen Gesicht verriet? Ich hatte keine Antworten auf diese Fragen.
Als ich Esther davon erzählte, meinte sie lediglich, alles würde gut werden, aber ich wollte mehr als nur Trost.
Nacht für Nacht lag ich im Bett, starrte an die Decke und dachte nach. Wieso hatte ich den Krieg überlebt? Wieso lebte ich noch als Einziger aus meinem engsten Familienkreis? Ich wusste es nicht. Ich spielte keinen Fußball mehr und auch nicht mehr Tischtennis. Aber ich besuchte Esther jeden Tag, fragte sie, wie es ihr ging, und verlor mich dann in meinen Gedanken darüber, wie mein Leben aussehen würde, wenn
ich das Center verließ. Manchmal musste Esther vor meinem Gesicht mit den Fingern schnippen, um mich in die Wirklichkeit zurückzuholen. Nachts saß ich schweigend mit Mo-
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hamed, Alhaji und Mambu auf der Veranda. Ich merkte nicht einmal, wenn einer von ihnen von der Bank aufstand, auf der wir saßen.
Als endlich der Tag meiner Wiedereingliederung
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