Rueckkehr ins Leben
Onkel bei unseren Spaziergängen recht
gut kennen und freute mich an den Wochenenden auf seinen
Besuch. Er brachte mir immer ein Geschenk mit und erzählte mir, wie seine Woche gewesen war. Er sprach über das Dach, das er jemandem aufs Haus gesetzt hatte, den schönen Tisch, den er am folgenden Tag fertigstellen würde, indem er ihn 203
polierte, oder er erzählte, wie gut mein Cousin und meine Cousinen in der Schule waren. Er richtete mir Grüße von
seiner Frau aus. Ich berichtete ihm im Gegenzug von unseren Tischtennisspielen und den Fußballturnieren, an denen ich teilgenommen hatte, oder den Vorstellungen, die wir für Besucher gaben, sofern es unter der Woche welche gegeben
hatte. Wir gingen so oft über jene Schotterstraße, dass ich die Augen schließen konnte und trotzdem gegen keinen der gro-
ße Steine stieß.
An einem Wochenende nahm mich mein Onkel mit, da-
mit ich seine Familie kennen lernte. Es war ein Samstag, und die Sonne schien so hell, dass wir unsere Schatten auf dem Boden nicht ausmachen konnten. Er wohnte in New Eng-land Ville, einer hügeligen Gegend im Westen von Freetown.
Mein Onkel kam früher als sonst nach Benin Home, um
mich abzuholen. Wir fuhren mit einem lauten Laster ins
Stadtzentrum. Mein Onkel und ich waren eine Weile lang
still, fingen dann aber an zu lachen, weil die beiden Männer, die neben uns saßen, darüber debattierten, welcher Palmwein besser sei, der aus einem stehenden oder der aus einem gefällten Baum gezapfte. Die beiden Männer stritten immer noch, als wir vom Laster stiegen. Langsam gingen wir auf das Haus meines Onkels zu, sein Arm lag auf meiner Schulter. Ich war glücklich, mit meinem Onkel spazieren zu gehen, aber ich
machte mir Sorgen, ob mich seine Familie genau so akzeptieren würde, wie er das getan hatte – und ohne mich nach dem Krieg zu fragen.
Als wir den Hügel hinaufstiegen und uns dem Haus mei-
nes Onkels näherten, nahm er mich beiseite und sagte: »Ich habe nur meiner Frau von deiner Vergangenheit als Soldat
erzählt. Meinen Kindern habe ich es verheimlicht. Ich glaube nicht, dass sie das verstehen können, so wie meine Frau und ich. Ich hoffe, das ist dir recht.« Erleichtert nickte ich, und wir gingen weiter.
Direkt hinter einer steil ansteigenden Kurve erreichten wir das Haus meines Onkels. Von dort konnte man die ganze
Stadt überblicken, und von der Veranda aus sah man die
Schiffe in der Bucht. Man hatte einen wunderschönen Aus-
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blick auf die Stadt von diesem Ort aus, der mein Zuhause
werden sollte. In dem Haus gab es weder Strom noch flie-
ßendes Wasser. Die Küche, die komplett aus Zink gebaut
war, stand abseits des Hauses. Unter einem Mangobaum eini-ge Meter vom Hof entfernt befanden sich die Latrine und die Kule – die Freiluftdusche. Das erinnerte mich an Mattru Jong.
Als wir auf die Veranda traten, kam die Frau meines On-
kels heraus, ihr Gesicht glühte, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als es glattzupolieren. Sie stand in der Tür und zog ihr Wickeltuch fest, bevor sie auf mich zutrat und mich so heftig umarmte, dass sie mir die Nase und die Lippen mit dem Oberarm quetschte. Sie ließ mich wieder los, trat einen Schritt zurück und kniff mir in die Wangen.
»Willkommen, mein Sohn«, sagte sie. Sie war eine kleine
Frau mit sehr dunkler Haut, dicken Backen und strahlenden Augen. Mein Onkel hatte keine eigenen Kinder, deshalb zog er die Kinder anderer Familienmitglieder wie seine eigenen groß. Davon gab es vier – Allie, der älteste, Matilda, Kona und Sombo, die kleinste, die erst sechs Jahre alt war. Sie alle ließen ihre Arbeiten liegen und kamen auf die Veranda, um ihren »Bruder« zu umarmen, wie mein Onkel unser Ver-wandtschaftsverhältnis erklärte.
»Gut, noch einen Jungen in der Familie zu haben«, sagte
Allie, nachdem er mich umarmt hatte. Er und mein Onkel
lachten, und ich lächelte. Ich war sehr still an jenem Nachmittag. Nach der Begrüßung machten sich alle wieder an ihre jeweiligen Aufgaben. Ich blieb mit meiner Tante und meinem Onkel allein, und wir setzten uns auf die Veranda. Ich liebte den Blick vom Haus auf die Stadt und sah gebannt auf sie hinab. Jedes Mal, wenn ich mich nach meinem Onkel
umdrehte, lächelte er breit. Meine Tante brachte uns ständig riesige Teller mit Reis, Fisch, Eintopf und Kochbananen. Sie brachte mich dazu, so viel zu essen, dass mein Magen fast geplatzt wäre. Als wir mit dem Essen fertig waren, zeigte mir mein Onkel sein
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