Rueckkehr ins Leben
dass ich zu dem Gespräch erscheinen würde.
Endlich war der Tag des Bewerbungsgesprächs gekommen
und ich kleidete mich lässig. Ich trug Turnschuhe, eine schö-
ne schwarze Hose und ein langärmeliges grünes Hemd. Auf
dem Weg runter zur Siaka Stevens Street zu der Adresse, die mir Leslie gegeben hatte, stopfte ich mir das Hemd in die Hose. Ich sagte niemandem, wohin ich ging. Ich hatte mit
Allie darüber reden wollen, schließlich aber doch gezögert, weil ich ihm dann mehr über mich hätte offenbaren müssen, als er wusste, mehr als ihm mein Onkel erzählt hatte.
Es war fast Mittag, aber die Asphaltstraße war schon viel zu heiß. Ich sah, wie eine herumfliegende Plastiktüte auf der Straße landete und sofort zu schmelzen begann. Poda podas *
kamen vorbei, und die Kontrolleure riefen die Namen der
Zielorte, um Fahrgaste anzulocken. Ein paar Meter weiter
vorne war ein Fahrzeug am Straßenrand stehen geblieben und der Fahrer goss Wasser aus einem Kanister auf den überhitz-ten Motor. »Das Auto hier trinkt mehr Wasser als eine Kuh«, brummte er. Ich ging langsam, aber mein Unterhemd war
bereits schweißgetränkt.
Als ich bei der Adresse ankam, blieb ich erst einmal vor
dem großen Gebäude stehen und staunte über dessen Höhe.
In der Lobby saßen ungefähr zwanzig Jungen, allesamt besser gekleidet als ich. Ihre Eltern gaben ihnen noch schnell letzte Ratschläge für das Gespräch. Ich betrachtete die großen Be-
* Kleinbusse
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tonpfeiler in dem Gebäude. Mir gefiel es, darüber nachzu-
denken, wie man es geschafft hatte, solch große Pfeiler zu bauen und aufzustellen. Ich war gerade damit beschäftigt, einen der Pfeiler genauer in Augenschein zu nehmen, als mir ein Mann auf die Schulter klopfte und fragte, ob ich zu dem Vorstellungsgespräch gekommen sei. Ich nickte, und er deutete auf eine offene Blechkabine, in der nun alle Jungen standen. Zögerlich ging ich auf den beengten Kasten zu und
wurde von den Jungen ausgelacht, wie ich dort stand und
offensichtlich nicht wusste, dass ich auf den Knopf drücken musste, damit sich der Kasten bewegte. Ich hatte noch nie zuvor in solch einem Kasten gestanden. Wo brachte er uns
hin? Ein Junge in einem blauen Hemd zwängte sich an mir
vorbei und drückte auf den Knopf mit der Nummer 5. Er
leuchtete auf, und der Kasten schloss sich. Ich drehte mich um und sah, dass alle ruhig blieben, also wusste ich, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Der Kasten bewegte sich schnell nach oben. Die anderen Jungen blieben ruhig, zogen ihre
Krawatten und Hemden zurecht. Als sich die Türen öffneten, trat ich als Letzter in den offenen Raum mit braunen Leder-sofas. An der gegenüberliegenden Wand saß ein Mann an
einem Schreibtisch und gab mir ein Zeichen, dass ich mir
einen Sitzplatz suchen sollte. Die anderen Jungen hatten sich bereits gesetzt. Ich setzte mich abseits von ihnen und sah mich im Raum um. Durch das Fenster konnte ich die Dächer
der anderen Gebäude sehen, und ich beschloss aufzustehen
und runterzugucken, um festzustellen, wie weit wir uns über dem Boden befanden. Ich wollte gerade auf das Fenster zugehen, als mein Name aufgerufen wurde.
Ein sehr hellhäutiger Mann (ich war nicht sicher, ob er aus Sierra Leone stammte oder nicht) saß in einem großen
schwarzen Ledersessel. »Bitte setz dich, ich bin gleich bei dir«, sagte er auf Englisch und blätterte einige Papiere durch, nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer. Als am anderen Ende jemand abnahm, sagte der Mann einfach nur »geht
klar« und legte auf.
Er wandte sich mir zu und musterte mich eine Weile, bevor er anfing, mir sehr langsam und auf Englisch Fragen zu stellen.
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»Wie heißt du?«, fragte er und sah auf die Namensliste auf seinem Tisch.
»Ishmael«, sagte ich und er hakte meinen Namen ab, bevor
ich ihm meinen Nachnamen sagen konnte.
»Wieso glaubst du, dass du geeignet bist, um vor den Ver-
einten Nationen die Situation der Kinder in diesem Land dar-zustellen?« Er sah von seiner Liste auf und betrachtete mich.
»Naja, ich komme aus einem Teil des Landes, wo ich
nicht nur unter dem Krieg zu leiden hatte, sondern auch aktiv an ihm teilgenommen habe. Anschließend unterzog ich
mich einem Rehabilitationsprogramm. Aufgrund meiner Er-
fahrungen verstehe ich die Situation besser als irgendeiner dieser Stadtjungen, die zu dem Gespräch erschienen sind.
Was wollen die denen da drüben denn erzählen? Die wissen
nicht mehr über den Krieg als das, was in den
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