Rueckkehr nach Glenmara
Sonntag, deshalb kommt der Bus eher unregelmäßig«, erklärte Bernie. »Werden Sie denn erwartet?«
»Nein, aber es gibt so viel zu sehen …« Sie wollte die Punkte auf ihrem Reiseplan abhaken, um glauben zu können, dass sie durchaus noch Dinge im Griff hatte. Doch in Irland schien ihr dieser Plan unweigerlich zu entgleiten.
Sie überlegte die Alternativen: per Anhalter oder mit einem Farmer ins nächste Dorf, auch wenn Sonntag war und sie sich in Glenmara offenbar in einem katholischen Ort befand.
»Die Straße ist morgen immer noch da«, sagte Bernie. »Und auf dem Herd steht Eintopf, wenn Sie den mögen. Ich hab ihn heute vor der Kirche aufgesetzt. Aber ich kann Ihnen auch ein paar Eier braten, wenn Ihnen die lieber sind.«
»Bitte machen Sie sich keine Umstände. Stew ist prima.«
»Hier, Ihre Kleidung, trocken. Allerdings riecht sie jetzt nach dem Meer.« Einer von Bernies Schlüpfern, der sich im Ärmel von Kates Jacke verfangen hatte, fiel auf den Boden. Bernie hob ihn auf. »Sind die Dinger nicht schrecklich? Ich nenne sie Liebestöter.«
Kate lächelte amüsiert-mitfühlend. »Die sind Ihnen sicher viel zu groß.«
»Am Hintern sitzen sie tatsächlich ziemlich locker, aber das sieht ja niemand. In der Gegend kriegt man nicht so leicht modische Unterwäsche, selbst wenn man möchte.«
»Tatsächlich? Sie hätten hübschere Unterwäsche verdient«, sagte Kate, vor deren geistigem Auge ein Slipentwurf Gestalt anzunehmen begann. »Das gilt für alle Frauen.«
»Interessanter Gedanke. Jedenfalls pack ich die Liebestöter jetzt erst mal weg. Melden Sie sich einfach, wenn Sie noch was brauchen.« Sie ging, Korb in der Hand, in Richtung
Tür. »Und nehmen Sie sich von dem stew , wenn Sie Hunger haben.«
Hoffentlich hatte sie ihre Gastgeberin nicht in Verlegenheit gebracht, dachte Kate, während sie mit einer Schöpfkelle Eintopf in eine Keramikschale gab. Die Schale war in schillernden Blautönen ähnlich denen des Meers glasiert und erinnerte an die Formen der Beswick-Keramiken aus den dreißiger Jahren. Kate warf vorsichtig, um nichts vom Inhalt zu verschütten, einen Blick auf die Initialen des Töpfers auf der Unterseite: SD. Wahrscheinlich stammte das hübsche Stück aus der Gegend.
Sie schob einen Löffel des traditionellen, nur leicht gewürzten Gerichts aus Rindfleisch, Kartoffeln und Karotten in den Mund. Es erinnerte sie an die Eintöpfe ihrer Mutter zum St. Patrick’s Day – obwohl Lu mehr Gemüse verwendet und am Fleisch gespart hatte. Es handelte sich um eines der wenigen Rezepte, die sie nicht durch Tofu zu variieren versuchte.
Da kam Bernie zurück. »Nehmen Sie ruhig einen Nachschlag. Es ist genug da«, sagte sie. » Stew war das Lieblingsessen meines Mannes. Da drüben auf dem Foto am Kaminsims können Sie ihn sehen. Attraktiv, finden Sie nicht? Ist letztes Jahr im Mai gestorben, an einem Aneurysma, bei einem Spaziergang mit Fergus. War nichts mehr zu machen.«
»Tut mir leid. Ich wusste nicht …« Wieder ein Fettnapf …
»Kein Problem«, versicherte Bernie ihr und rührte den Eintopf um. »Das stew hat mich dran erinnert, das ist alles. So etwas lässt einem keine Ruhe. Allerdings wird’s mit der
Zeit besser – sowohl das stew als auch die Trauer. Noch ein Tässchen Tee?«
Nach dem Essen zog Kate eine gut geschnittene braune Fleecejacke (auch Praktisches konnte schick sein), Jeans und Wanderschuhe an und machte sich auf, die Gegend zu erkunden. In der Hoffnung auf Einfälle, die ihr bei Spaziergängen oft kamen, nahm sie ihren Skizzenblock mit. Die überwältigende Schönheit dieses Fleckchens Erde steckte in allem, in den reinen Farben, den Formen und Gerüchen, den Fingerhutblüten, der rauen Oberfläche des Bodens und sogar den glitzernden Glassplittern, die sie aus dem Straßengraben aufhob. Als sie die Scherben in einer schimmernden Kaskade aus der Hand rieseln ließ, spürte sie, wie der kreative Impuls sich zu regen begann. Doch sie beschloss, nichts zu forcieren. Sie pflückte Gänseblümchen für ein Kettchen, das sie übers Handgelenk schob, während sie über die nach Gras und Wildblumen duftenden Wiesen wanderte.
Nach einer halben Stunde erreichte sie die Klippen, unter denen das Meer brandete. Wellen schlugen gegen die Felsen, zogen sich zurück, warfen sich erneut dagegen. Kate setzte sich hin, schloss kurz die Augen, ließ sich ganz von dem Geräusch erfüllen, öffnete erwartungsvoll den Skizzenblock und nahm den Stift zur Hand. Doch nichts tat sich,
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