Rückkehr nach Kenlyn
Bitte.«
Xeah schwieg. Ihre Worte waren kaum zu verstehen, als sie schließlich sagte: »Ich weiß nicht, wie ...«
»So wie es für dich am einfachsten ist«, sagte Endriel. »Bisher haben wir einander doch alles sagen können.«
Xeah hob mühsam ihr beeindruckendes Haupt; ihre von Falten und Furchen umrahmten Murmelaugen glänzten feucht. Sie brauchte einige Atemzüge, bevor sie sprechen konnte. »Wenn wir die Fracht in Obrana abgegeben haben ... wenn Liyen von Bord ist ...« Sie brach ab. Erst nach einer scheinbaren Ewigkeit beendete sie den Satz: »... dann werde ich euch verlassen.«
Die Worte trafen Endriel wie der Schuss aus einem Sonnenauge. »Aber – wieso?«
»Ich möchte zurück nach Hause. Zurück zum Sanktum.«
»W-Warum? Gefällt es dir bei uns nicht mehr? Oder –?«
»Endriel, diese Sache in Xanata ... Wenn es so schlimm ist, wie der Friedenswächter gesagt hat, dann werden die Überlebenden unsere Hilfe brauchen; die Hilfe der Priesterschaft. Wie ich den Klostervorstand kenne, haben sie längst Kurs in die Region gesetzt.«
»Nein!« Endriel biss sich auf die Unterlippe. Salz brannte in ihren Augen.
»Endriel ...«
»Du gehörst doch gar nicht mehr zum Kloster! Du gehörst zu uns!«
Xeahs Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, aber ihre Augen verrieten sie. »Ich bin Heilerin, Endriel«, sagte sie sanft. »Ich muss tun, was ich kann, um Leiden zu mindern.«
Ein dicker Kloß verstopfte Endriels Kehle. »Aber wir brauchen dich dringender als sie! Ich brauche dich!«
Xeahs rauhe Hand strich ihr tröstend über die Wange. »Und ihr werdet mir fehlen. Ihr seid die einzige Familie, die ich außerhalb des Sanktums habe. Aber ich muss meinen Eid erfüllen.«
Endriel umfasste Xeahs Hand. »Gibt es keine Möglichkeit, dich umzustimmen?«
»Ich fürchte, nein. Und ich bitte dich, meinen Wunsch zu respektieren.«
»Was bleibt mir anderes übrig?«, fragte Endriel. Sie sah der Draxyll tief in die traurigen Augen – bis Xeah ihrem Blick auswich. Da durchzuckte sie die Erkenntnis.
»Das ist nicht alles, oder, Xeah?«
Die Heilerin drehte sich zur Wand. »Bitte. Ich brauche jetzt Ruhe ...«
Endriel musste all ihre Kraft aufbringen, um die nächste Frage zu stellen: »Xeah, was ist wirklich los?«
Es dauerte lange, bis sie antwortete. »Ich werde sterben«, brachte sie schließlich hervor.
»Blödsinn!« Endriel produzierte ein Lachen. Sie wusste, wie falsch und verzweifelt es klang.
Erst jetzt drehte sich Xeah wieder zu ihr. »Sieh mich doch an, Kind« sagte sie leise.
Endriel tat es, doch es fiel ihr schwer. Sie konnte sich nicht erinnern, dass die Draxyll schon immer so klein gewesen war, so zerbrechlich. »Ich weiß, du bist nicht mehr die Jüngste, aber – hundertvierundzwanzig Jahre, was ist das schon? Du wirst uns noch alle überleben!«
»Etwas Tragischeres kann ich mir kaum vorstellen.« Xeahs Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. »Ich kann es fühlen: Jeden Tag verlässt mich die Kraft ein wenig mehr. Mein Gedächtnis fängt an, mich im Stich zu lassen. Ich verliere Erinnerungen, so wie ein Baum Blätter verliert. Bevor wir von Zuhause losgeflogen sind, habe ich mich auf dem Boden der Küche wiedergefunden, ohne zu wissen, wie ich dort hingekommen bin. Ich bin gefallen und habe es nicht einmal gemerkt.«
Nun war Endriel diejenige, die dem Blick der anderen auswich. Tiefe Scham überkam sie. »Und ich bin so egoistisch gewesen, dass ich gar nicht mitbekommen habe, was um mich herum passiert. Ich hatte nur die verdammte Armschiene im Kopf. Und Kai. Es tut mir leid ...«
»Gräm dich nicht«, sagte Xeah mit einem Augenzwinkern. »Du bist verliebt; das ist, glaube ich, eine sehr gute Entschuldigung.« Dann wurde sie ernster. »Ich bin alt, Endriel. Meine Knochen fühlen sich an wie morsche Zweige – und dabei sind sie so unendlich schwer. Selbst das Aufwachen ist für mich eine Bürde geworden. Ich spüre es: Mir bleibt nicht mehr viel Zeit ...«
Das Gesicht der alten Heilerin schien vor Endriels Augen zu verschwimmen.
»Ich möchte zurück ins Kloster. Ich möchte dort meine letzten Tage verbringen, bevor meine Seele auf die Lange Reise geht. Ich würde euch gerne begleiten; den Saphirstern sehen. Und Kai. Aber ich will euch nicht zur Last fallen.«
»Das würdest du nie!«
»Vielleicht nicht jetzt. Aber bald mit Sicherheit. Während des Überfalls der Piraten war ich wie gelähmt; ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Die Angst hat mich einfach
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