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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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nicht zugebilligt.
    Dann hätte ich allein dagestanden mit meinem Geständnis, keiner hätte es hören wollen. Die IRA hätte mich an die Leine gelegt, wie die Briten es tun würden. Der Armeerat hätte mich verpflichtet, mit dem Feind zusammenzuarbeiten. Er hätte mich zum Doppelagenten gemacht, der die einen und die anderen anlügt, in beiden Lagern gefährdet und von allen Seiten verachtet. Das war meine Angst. Der Republik nicht mehr aus Überzeugung zu dienen, sondern aufgrund von Erpressung. Vom Soldaten zum Opfer zu werden.
    Mehrere Nächte fand ich keinen Schlaf. Und eines Morgens beim Aufwachen stand mein Entschluss fest: Ich würde mein Volk betrügen, damit die IRA es nicht zu tun brauchte. Ich würde mein Lager verraten, um es zu schützen. Die IRA verraten, um sie zu bewahren.
    »Das Omen des Verrats annehmen.«
    Diesen Satz betete ich mir vor, während ich nach Hause torkelte. Er war die schwarze Perle meines neuen Rosenkranzes. In Lower Falls traf ich Jim O’Leary. Drei vom Zweiten Bataillon folgten ihm, als kennten sie sich alle nicht. Sie waren in Eile. Im Dienst. Ich zwinkerte ihnen im Vorbeigehen zu.
    Ich müsste den Briten Bedingungen stellen. Ausgeschlossen, ihnen dabei zu helfen, Jim oder die drei dort ins Gefängnis zu bringen. Keine Festnahmen, keine Opfer. Ich sollte zum Frieden beitragen, nicht zum Leiden. Ich war kein Cop, sondern ein irischer Patriot. Ich brauchte Garantien.
    »Garantien. Ich will Garantien.«
    Ich redete laut. Musste schon wieder pissen. Mich schauderte vor dem Plakat im Pub. Diesmal sprachen die Wändevon mir. Verräter. Verräter. Verräter. Ich müsste ein anderes Wort dafür finden. Oder mir immer wieder vergegenwärtigen, dass Verräter auch Kriegsopfer seien. Ich ging an unserer Tür vorbei, immer weiter. Noch eine Runde durch das nächtliche Viertel. Plötzlich hörte ich das metallische Krächzen eines Funkgeräts. Soldaten lagen in einem Garten hinter Hecken und bunten Zwergen. Die Gesichter und Hände mit schwarzer Creme beschmiert. Nur die Augen schimmerten in der Dunkelheit. Hi, Jungs. Willkommen, meine neuen Freunde.
    »Wenn du für uns arbeitest, dann um deinen Ruf zu retten, nicht deine Haut«, hatte der Cop zu mir gesagt.
    Er hatte recht. Ich wollte bloß den großen Tyrone Meehan nicht ramponieren. Die IRA war mir scheißegal. Dieses Märchen vom Verraten, um nicht zum Verräter zu werden! Ich bekam Angst vor dem Anderen in mir. Ekelte mich vor mir selbst. Mein ganzes Leben lang hatte ich nach Verrätern gesucht, dabei versteckte sich der schlimmste von ihnen in meinen Eingeweiden. Den hatte ich nicht kommen sehen. Der war mir nicht aufgefallen. Der mit dieser Visage, der weichen Mütze, der abgewetzten Jacke. Der jetzt ein paar Pfosten rammte. Über alles und nichts lachte. Seinen Abend an die Wand kotzte. Den Schatten beschimpfte, der ihm zu Hilfe kam. Auf dem Bürgersteig ausrutschte, hinfiel und sich mühsam wieder aufrappelte. Der den Refrain zum Ruhme von Danny sang. Der längst allein war. Zum Dreckskerl geworden wie sein Vater. Ein Mann ohne Bedeutung.
    *
    Gemeinsam mit uns hatte ein anderes Paar die Reise nach Frankreich gewonnen. Franck und Margaret wohnten in Larne, einem Hafen in der Grafschaft Antrim.
    »Protestanten, sicher Loyalisten, aber reizend«, hatte Sheila gesagt.
    Wir flogen zusammen, erst nach London, dann nach Paris. Sheila saß am Fenster. Margaret auch, direkt vor uns. Seit das Flugzeug abgehoben hatte, hing sie über ihrer Lehne, um sich mit meiner Frau zu unterhalten. Sie sagte drei Worte, erzählte eine Geschichte, setzte sich wieder gerade hin und tauchte mit einem Lächeln auf den Lippen wieder auf.
    »Sie hat so einen charmanten englischen Akzent«, lächelte Sheila.
    Sie war so glücklich, dass nichts sonst von Bedeutung war. Durch das Fenster sahen wir unsere Stadt versinken, unsere tristen Straßen, die Werft Harland and Wolff, unsere nassen Felder, die Steinmauern, dann das riesige Meer. Sie glaubte, sie hätte nach meiner Hand gegriffen, doch ich war es, der ihre drückte. Margaret hatte ihr ein Bonbon für den Start gegeben.
    »Also,diese beiden jungen Leute aus Belfast,die in Paris auf Hochzeitsreise sind.Eines Nachts gehen sie über die Champs-Elysées,als plötzlich vier Polizeiwagen auftauchen,drei Feuerwehrwagen und zwei Krankenwagen, alle mit laufenden Sirenen. Da nimmt der Mann seine junge Frau bei der Hand und sagt zu ihr: »Hörst du, Schatz, sie spielen unser Lied …«
    Sheila lachte. Es war so lange her,

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