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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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machen!«
    Der Junge stieg von seinem Hocker. Jim sollte sich erklären. Er kam keine zehn Meter weit. Zwei von uns hielten ihn auf. Der eine packte ihn im Nacken und drückte ihn auf einen Stuhl. Der andere deutete mit dem Kinn auf Mallory und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Jim trank ruhig, Auge in Auge mit dem Jungen. Als der erfuhr, wen er da vor sich hatte, wurde er kreidebleich. Ein großer, erstaunter Körper mit einem offenen Mund.
    Wenn die Sache für Zivilisten gefährlich wurde, blieb Jim bis nach der Explosion. Einmal hatte er eine Zündung wegen einer Hochzeit ausgesetzt. Patrouille und Brautpaar gingen wenige Meter an seiner ferngesteuerten Bombe vorbei, die Soldaten waren von einem heiteren Zug aus langen Kleidern und Jacketts umhüllt. Ein anderes Mal ging er mit einer Frau von der IRA noch einmal zurück, um seine Bombe aus dem ersten Stock eines protestantischen Pubs zu holen. Dort sollte ein loyalistisches Führungstreffen stattfinden, das aber abgesagtwurde. Mit dem Semtex-Paket, das in den Toiletten deponiert worden war, wurde er auf dem Bürgersteig verhaftet. Elf Jahre Gefängnis.
    »Du bist ein Mörder, Jim O’Leary!«, sagte der Priester bei seiner Hochzeit.
    »Kümmere du dich um meine Messe, ich kümmere mich um dein Land«, erwiderte Jim.
    Seit diesem Tag ging Cathy aus Solidarität mit ihrem Mann nie wieder zur Kommunion.
    *
    Als Fionna Phelan in den Bus stieg, folgte ich ihr. Sie setzte sich hinten hin, ich setzte mich neben sie. Was sie überraschte – denn das Fahrzeug war fast leer. Sie hielt die Handtasche auf ihrem Schoß fest. Ich hielt ihr meine Hand hin.
    »Tyrone Meehan, ich habe mit Aidan in einer Zelle in Long Kesh gesessen.«
    Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Das Blut kehrte zurück, das Lächeln auch. Sie nahm meine Hände, als wären es die ihres Sohnes.
    »Tyrone Meehan? Tut mir leid, Sie haben mir Angst gemacht.« Sie sah mich genauer an. »Was machen Sie in Strabane?«
    Sie wollte, dass ich mitkäme, zu ihr nach Hause, um ihren Sohn und ihren Mann zu sehen. Sie war so aufgewühlt wie bei einem zärtlichen Stelldichein. Aber ich musste noch am gleichen Tag zurück nach Belfast. Ich würde an der nächsten Haltestelle aussteigen.
    »Erzählen Sie niemandem von mir.«
    »Nicht einmal meinem Mann?«
    »Auch ihm nicht. Niemandem. Tut mir leid.«
    Sie war beunruhigt. Die Angst der Frauen hier.
    »Was ist los?«
    Sie hatte ihre Hände in meine gelegt.
    »Nichts. Alles in Ordnung. Ich wollte nur wissen, ob Sie Ende letzten Jahres eine Nachricht von Ihrem Sohn bekommen haben.«
    Erstaunen in ihrem Blick. Eine Nachricht? Die Nachricht! Die einzige überhaupt. Sie griff in ihre Tasche, ihre rote Brieftasche. Darin, geschützt von einer Plastikhülle, die Nachricht ihres Sohnes. Sie lächelte traurig.
    »Die Bibel zerreißen, also wirklich … so was macht man doch nicht.«
    Wie sie die Nachricht erhalten habe? Um die Weihnachtszeit habe jemand am Tor geklingelt. Sie habe aus dem Fenster geschaut und einen Mann draußen stehen gesehen, mit einem kleinen Ding in der Hand. Er habe ihr gewinkt und es über den Zaun geworfen. Da habe sie zu schreien begonnen.
    »Mein Sohn ist rausgestürzt, mein Mann hinterher. Ein Loyalist, hab ich gedacht, eine Bombe. Der Typ ist in einer Straße verschwunden.«
    Im Gras lag ein kleiner silbriger Seehund-Schlüsselanhänger mit einem Reißverschluss am Bauch. Ihr Sohn drehte ihn mit dem Schürhaken um. Bückte sich, hob das Stofftier auf und öffnete es.
    »Da ist ihm der Zettel in die Hand gefallen, und er hat ihn gleich in seiner Faust versteckt. Und ängstliche Blicke auf die Straße geworfen.«
    Er hatte acht Jahre in Crumlin gesessen. Als er das schimmernde Papier erkannte, stieß er einen Freudenschrei aus.
    »Dann hat er die Tür zugemacht, mit Riegel und Kette verschlossen und die Vorhänge zugezogen. Und gesagt, ich soll die Hand ausstrecken. ›Nachrichten von unserem Aidan‹, hat er gesagt. Und als ich geheult habe, hat der Blödmann gelacht.«
    Hatte sie den Mann gesehen, der das Felltier über den Zaun geworfen hatte?
    »Ja, sehr gut, wegen der Straßenlampe. Klein, nicht mehr jung, mit Glatze. Ich erinnere mich noch, dass ich gedacht habe, wenn er uns was Böses antun wollte, hätte er seinen Kopf doch unter einer Mütze versteckt.«
    Popeye hatte also Wort gehalten.
    *
    »Meehan?«
    »Sag nichts, Popeye, frag mich nichts. Die IRA will dich am Donnerstag töten.«
    »Was redest du da, Meehan?«
    Er wiederholte meinen Namen, als

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