Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
Vom Netzwerk:
liebte diesen Mann auf der Stelle. Er schnitt das Brot und verteilte es anständig.
    »Bedankt euch bei Onkel Lawrence!«, sagte meine Mutter, als sie die Teller abräumte.
    »Danke, Onkel Lawrence!«
    Er gab keine Antwort. Er gab selten Antwort. Klein-Kevin hat ihn einmal gefragt, ob sein Mund zugeklebt sei. Da hat er gelächelt, glaube ich.
    Séanna wollte hinaus, Mama verlangte aber, dass er vor dem Haus bleibe. Ich ging mit. Es war beinahe warm und regnete so gut wie gar nicht. Die ganze Straße entlang lehnten Männergrüppchen an den Mauern und unterhielten sich. Alle redeten sich mit Vornamen an. Wie bei uns im Dorf.
    Ich war gerade sechzehn geworden. An diesem Abend, dem ersten meines neuen Lebens, in einem Irland, das noch nicht meins war, lernte ich Sheila Costello kennen. Sie war vierzehn, wohnte im linken Nachbarhaus und kam gerade die Straße entlang. Groß, kurze schwarze Haare, seegrüne Augen und dieses Lächeln. Für ein bisschen Geld würde meine Schwester Mary bald ihre Schwester hüten, wenn ihre Eltern abends im Pub waren. Ein paar Tage später, an einem Sonntag, küsste ich Sheila im Dunkeln, gleich nach dem Angelusläuten. Sie beugte sich ein wenig herunter, bis unsere Lippen sich trafen. Ein Kuss sei nichts, sagte sie, aberman dürfe das nicht wiederholen oder gar weitergehen. Sie nannte mich weeman , »kleiner Mann«. So wurde sie meine Frau.
    *
    »Weißt du nicht, dass wir im Krieg sind?«, hatte mich der Engländer gefragt.
    An diesem Abend, dem 15. April 1941, wurde es uns bewusst.
    Wir waren gerade schlafen gegangen. Hinter meinen geschlossenen Lidern Bilder von Sheila.Sie hatte meinen Akzent »bäurisch« genannt. Ich würde mich bemühen, ihren nachzuahmen. Rücken an Rücken mit Séanna, dessen kaltes Bein ich wegstieß, versank ich in meiner Nacht. Plötzlich erbebte alles. Ein unmenschlicher Krach, dröhnender Stahl, schepperndes Blech, sehr niedrig, ganz nah über den Häusern.
    »Scheiße, Flieger!«, rief mein Bruder.
    Er sprang auf, schaute zur Decke. Schaltete das Licht an. Sirenengeheul. Tumult im Treppenhaus. Ein verschrecktes Häuflein. Mama ganz grau, Baby Sara weinend, meine Schwestern mit ihren nächtlichen Gesichtern. Klein-Kevin mit offenem Mund, Niall mit irrem Blick. Onkel Lawrence kam herein und sagte, wir sollten uns schnell anziehen. Die erste Bombe warf Brian um. Nur der Krach. Er fiel auf den Rücken und knallte mit dem Kopf auf den Boden, die Augen verdreht. Lawrence nahm ihn in die Arme. Er sprach laut und schnell. Wir hätten nichts zu befürchten. Die deutschen Flieger seien schon öfter gekommen, aber sie bombardierten nichtunsere Viertel, sondern griffen die Innenstadt an, den Hafen, den Bahnhof, die Kasernen, die Reichen, nicht die Armen.
    »Nicht die Armen! Tötet nicht die Armen!«, flehte meine Mutter, als sie auf die Straße trat.
    Wir hatten wieder unsere klägliche Raupe gebildet, jeder an ein Stück Kleidung des anderen geklammert. Lawrence eröffnete den Marsch. Familien tauchten auf, ließen die Türen offen stehen. Angst im Blick. Es war fast Mitternacht, Vollmond, der lichte Himmel hatte die Stadt entblößt. Die Flugzeuge waren da, über uns, unter uns, in uns, überall, sie dröhnten in unserem Bauch. Wir trauten uns nicht, aufzuschauen. Senkten den Kopf aus Angst, dass ihre Flügel uns streiften. In der Ferne brannte die Stadt, aber keines von unseren Häusern.
    »Mein Gott, verschone uns!«, weinte Mama, Wange an Wange mit Baby Sara.
    Am Ende der Straße gab es eine Riesenexplosion, weiße Garben schossen aus der Kapelle, in die wir uns flüchten wollten. Der Lärm des Krieges. Der echte, der sprachlos macht. Das Gewitter der Menschen. Brutal zu Boden geschleudert entlang der Häusermauern, über- und untereinander sitzend, liegend, schreiend. Manche starben vor Entsetzen im Stehen. Andere fielen kraftlos zu Boden.
    Wir bildeten einen Kreis der Angst, mit dem Rücken zur Gefahr. Lawrence hatte sich hingekniet. Mama und die Jüngsten in der Mitte. Séanna, Róisín, Mary, mein Onkel und ich schützten sie. Kopf an Kopf, mit geschlossenen Augen, die Arme umeinandergelegt.
    »Schaut nicht in die Blitze, davon wird man blind!«, schrie eine Frau.
    Wir beteten ein Ave-Maria nach dem anderen, immer schneller, verstümmelten die Worte. Wir taten Buße. Mama hatte aufgehört zu beten, den vertrauten Frieden verlassen. Den Rosenkranz wie ein Perlenarmband um die Handgelenke gewickelt, schrie sie zu Maria, wie man gegen den Tod anschreit. Rief sie zu

Weitere Kostenlose Bücher