Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
Vom Netzwerk:
Knacken des Feuers aufschrecken.Ich habe die dicken Mauern neu gekalkt. Das Schieferdach ausgebessert. Die alte, kranke Ulme gefällt, die große Tanne behalten. All die Jahre bin ich hierhergekommen, um mich vom Krieg zu kurieren. Ohne Verpflichtung, ohne Druck, ohne Furcht. Im Ruhestand. Als Einsiedler, Mönch unserer Klöster, Eremit.
    Ich bin schon oft in das Haus meines Vaters zurückgekehrt, doch jetzt bin ich hier, um zu sterben. Ohne meine Frau, ohne meinen Sohn. Allein vor vier Tagen aus Dublin gekommen. Sheila kam zwei Tage später nach, für eine Stunde. Sie brachte mir Lebensmittel, Bier, Wodka, den Hurling-Schläger von Séanna und fuhr wieder nach Belfast zurück. Ich wollte nicht, dass sie blieb. Zu gefährlich. Jack wird mich in den ersten Stunden des Januars besuchen.
    An die Küchenwand habe ich mit Bleistift eine Art Kalender gemalt, wie wir es im Gefängnis machten, damit uns die Zeit nicht abhandenkam. 24.Dezember 2006. Ein Strich pro Tag, ein Querstrich pro Woche. Die ersten drei Tage habe ich es ausgehalten, ohne das Haus zu verlassen. Die Hütte wurde zu meinem Bau. Die Tür habe ich von innen versperrt, die Klinke mit einem Brett blockiert. Sheila hat mir Vorhänge genäht, durch die man nichts durchsieht. Die habe ich abends, bevor ich meine Kerzen anzündete, immer sorgfältig zugezogen.
    Meine Frau und mein Sohn haben mich angefleht, das »Mullin’s« zu meiden. Sie fürchten um mein Leben. Sie haben zweifellos recht. Trotzdem habe ich nach drei Tagen Klausur im Haus meines Vaters darauf verzichtet, mich zu verstecken.
    Heute Morgen bin ich ins Dorf gegangen, um ein Heft und ein paar Stifte zu kaufen. Ich will schreiben. Nichts gestehen, schon gar nichts erklären, nur erzählen, eine Spur hinterlassen. Dann war ich am Hafen, in der Heide, am Saum des winterlichen Walds – ein alter Mann mit Mütze über den Augen und zerschlissener Jacke. Niemand hat in mir Meehan, den Verräter, erkannt. Nicht einmal das Schwein Timy Gormley, der seit der Kindheit nie über seine Straße hinausgekommen ist und wahrscheinlich eines Tages auf ihr überfahren wird, wenn er sie mit kleinen Schrittchen überquert.
    Ich rief Sheila auf dem Handy an.
    »Irgendjemand wird dich erkennen. Geh ins Cottage zurück«, flehte sie.
    Sie wollte hier mit mir leben, trotz alledem. Aber ich wollte das nicht. Zu viele Gefahren. In Belfast konnte sie nicht mehr atmen. Also hat sie sich in Strabane niedergelassen, bei einer Freundin, eine Autostunde entfernt.
    »Sie werden kommen!«, flüsterte sie.
    Bestimmt werden sie kommen. Sie waren sogar schon da. Als ich ankam, musste ich das Wort »Verräter!« entfernen, das mit schwarzem Teer auf die frisch gekalkte Mauer geschmiert war. Aber wo soll ich hin? Ob ich in Belfast auf sie warte oder hier hinter geschlossenen Vorhängen oder vor meinem Glas im Pub, was macht das für einen Unterschied? Sie werden kommen, das weiß ich.
    Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich werde jeden Abend ins »Mullin’s« gehen. Das Bier meines Vaters trinken, seinen Platz an dem runden Tisch einnehmen, der vor der ockerfarbenen Wand zwischen Dartscheibe und Männerklo steht. Sein Fenster, seine Schwelle, seine Treppe zum Rausch.Heute war sogar gleich mein erstes Pint für ihn. Ich habe es mit geschlossenen Augen getrunken. Dann habe ich mich im Pub umgesehen. Alles hatte sich verändert, alles war so geblieben. Der Raum war kleiner als in meiner Erinnerung aus der Schulzeit. Die Gerüche hatten ihre Patina verloren. An den Wänden hingen Plakate anstelle der gerahmten Stiche. Die Stimmen waren leiser geworden, das Lachen fehlte. Neben dem Tisch aber war noch der Abdruck des alten Ofens, der mit Torf beheizt wurde. Und auf dem Parkett Spuren von früheren Tritten, verschütteten Bieren, glühendem Tabak. Lauter kleine Splitter unserer Vergangenheit.
    Ich fühlte mich wohl. Nahm den sliotar aus der Tasche, den Hurling-Ball, den Tom Williams mir vor sechzig Jahren geschenkt hatte. Damals, als er ihn mir eines Nachts auf offener Straße zuwarf, war er weiß, wie neu. Er hatte ihn erst einmal benutzt, in einem Freundschaftsspiel gegen eine Mannschaft aus Armagh. Der gegnerische Kapitän war fünfzehn. Er und seine Jungs hatten Belfast vernichtend geschlagen. Zu Ehren des Verlierers hatten sie den sliotar signiert und Tom geschenkt. Heute waren die Namen verblichen. Der Ball hatte eine Farbe wie Schiefer im Regen. Die Naht war gerissen, das Leder gesprungen und runzlig wie die Haut eines alten

Weitere Kostenlose Bücher