Rueckkehr nach River's End
und betrachtete die Spuren fasziniert. »Sind sie noch im Winterschlaf, oder könnten wir einem begegnen?«
»Oh, sie sind jetzt unterwegs. Und hungrig«, konnte sie sich nicht verkneifen, hinzuzufügen.
»Na ja.« Er fuhr mit dem Finger eine der tiefen Rillen entlang. »Solange er mich auf der Suche nach seinem Mittagessen nicht für einen Baum hält, dürfte das interessant werden.«
Während sie weiterkletterten, vergaß er beinahe seine schmerzenden Muskeln. Backenhörnchen tollten über den Boden und plapperten und schimpften in den Bäumen. Ein Habicht schwebte mit majestätischen Flügelschlägen über ihnen und stieß einen einzigen, wilden Schrei aus, dessen Echo ewig nachzuhallen schien. Sie sahen einen schwarz glänzenden Raben und die ersten Schneespuren.
»Hier können wir rasten.« Olivia nahm ihren Rucksack ab, warf Noah einen nachdenklichen Blick zu, hockte sich dann hin und packte aus. »Ich hätte nicht gedacht, daß du es schaffst, zumindest nicht ohne Gejammer.«
»Ein paarmal hätte ich fast gejammert, aber die Aussicht macht die Qualen wett.«
Er sah auf die drei Seen hinunter, die matt silbern wie alte Spiegel glänzten. Die wellige Oberfläche reflektierte die Berge wie Schatten. Die Luft roch scharf nach Kiefern, Kälte und dem feuchten Duft des regennassen Bodens.
»Als Belohnung dafür, daß du nicht gejammert hast, gibt es Großmamas berühmten Rindfleischeintopf mit Graupen.«
»Ich könnte einen ganzen Berg verdrücken.«
Olivia zog eine kleine Decke aus dem Rucksack. »Breite sie aus und setz dich hin. Einen Berg bekommst du zwar nicht, aber genug, um dir den Bauch aufzuwärmen und deine schmerzenden Füße zu vergessen.«
»Ich habe etwas von meinem Gratisobst mitgebracht.« Er grinste, während er die Decke auseinanderfaltete. »Falls du vorgehabt hättest, mich verhungern zu lassen.«
»Ich hatte daran gedacht, dich im Wald zurückzulassen und abzuwarten, ob du den Heimweg allein finden würdest. Aber ich mag deine Eltern, und sie wären untröstlich.«
Er zog die Beine unter sich und nahm den Kaffee, den sie aus einer Thermoskanne in eine Tasse gegossen hatte. Am liebsten hätte er ihr den Hut vom Kopf gezogen, um ihr Haar zu berühren. Er liebte seinen Anblick, die glatte Kappe mit dem kecken Pony. »Du könntest lernen, auch mich zu mögen.«
»Wohl kaum.«
Er streichelte Shirleys Kopf. »Dein Hund mag mich immerhin.«
»Sie gehört Großpapa. Und sie trinkt aus der Toilette. Ihrem Geschmack ist nicht zu trauen.«
»Du bist sehr hart, Liv. Aber du kochst tollen Kaffee. Wenn wir heiraten, kannst du mir jeden Morgen Kaffee kochen, und ich werde dich wie eine Königin behandeln.«
»Warum machst du nicht den Kaffee, und ich behandle dich wie einen Sklaven?«
»Heißt das, du würdest mich fesseln und zu perversen Sexpraktiken zwingen? Ich habe mich nämlich kürzlich dem Zölibat verschworen.«
Sie lachte und holte einen zweiten Thermosbehälter heraus. »Deine Ehre ist bei mir in guten Händen.«
»Da bin ich aber erleichtert. Hey, das riecht köstlich!«
»Großmutter ist eine gute Köchin.« Olivia goss den Eintopf in Suppenteller.
»Kann ich mal zum Essen vorbeikommen?«
Unvermittelt erstarrte sie. »Als ich gestern nach Hause kam, hat Großmutter geweint. Mein Großvater hatte ihr erzählt, daß du hier bist, was du vorhast, und daß er mit dir gesprochen hat. Ich weiß nicht, was sie zueinander gesagt haben, aber ich weiß, daß sie seither kaum noch miteinander reden. Und daß sie geweint hat.«
»Das tut mir leid.«
»Wirklich?« Sie blickte auf. Er hatte erwartet, daß ihre Augen feucht wären, aber sie waren trocken und heiß. »Es tut dir leid, daß du unerträglichen Kummer aufleben lässt , Spannungen zwischen zwei Menschen auslöst, die sich seit über fünfzig Jahren lieben, und mich irgendwie zwischen sämtliche Stühle manövriert hast?«
»Ja.« Seine Augen blieben ruhig auf ihre gerichtet. »Das tut es.«
»Trotzdem schreibst du das Buch?«
»Ja.« Er nahm seinen Teller. »Ich habe die Akte bereits geöffnet, bin schon zu weit gegangen, um umzukehren. Und das ist eine Tatsache, Livvy. Wenn ich diesmal wieder aufgebe, wird Tanner seine Geschichte trotzdem erzählen. Er wird sie ganz einfach jemand anderem erzählen. Dem es vielleicht nicht leid tut, nicht leid genug, um so behutsam wie möglich vorzugehen, zu prüfen, ob das, was er schreibt, auch der Wahrheit entspricht. Er hätte nicht diese Verbindung zu dir und deiner Familie, so
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