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Rückkehr nach Wedenbruck

Rückkehr nach Wedenbruck

Titel: Rückkehr nach Wedenbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Caspari
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haben als bisher. Alles klar? Dann kommen die anderen bitte von der Tribüne runter. Jetzt seid ihr endlich dran.“

Das Stallgespenst

    Von diesem Tag an hatte Bille eine neue Truppe begeisterter Anhänger. Keinem wurde der Unterricht bei ihr je zu lang. Die Schüler hingen an Billes Lippen oder beobachteten konzentriert, wenn sie ein schwieriges Pferd so ritt, dass sie ihren vierbeinigen Freund kaum wieder erkannten. Sie versuchten, Billes Fingerbewegungen nachzuahmen, um Verspannungen in der Muskulatur des Pferdes zu erspüren, und freuten sich, wenn das Tier eine deutliche Wirkung zeigte, indem es zufrieden den Kopf senkte und kaute.
    Bille hatte ihre Klasse in drei Gruppen von zweimal acht und einmal sieben Schülern eingeteilt, die je zwei Stunden Unterricht in der Woche bei ihr hatten. Dazu kamen zwei weitere Stunden Theorie im Unterrichtsraum neben dem Schulstall, an denen alle gemeinsam teilnahmen.
    Am beliebtesten waren jene Stunden, die Bille als „Spielplatz“ bezeichnete, besonders dann, wenn sie bei gutem Wetter draußen stattfinden konnten. In diesem Unterricht gab es ein Programm, das Bille selbst entworfen hatte. Es enthielt Gymnastikübungen für Pferde und Reiter sowie Aufgaben, die dem Lehrbuch von Linda Tellington-Jones entnommen waren. Darüber hinaus hatte Bille eigene Übungen erfunden, manches zu neuen Abläufen kombiniert oder spielerische Elemente eingefügt, die den Unterricht auflockerten und für reichlich Gelächter sorgten. Und immer wieder forderte sie ihre jungen Reiter auf, ihre Fantasie zu gebrauchen und sich selbst etwas einfallen zu lassen.
    Da dieser Unterricht nachmittags stattfand, zog Bille oft Mini als Assistentin hinzu. Die zierliche Artistin wurde wegen ihres Könnens und ihrer Herkunft aus einer Zirkusfamilie auch von der wilden Meute der Fünftklässler anerkannt und bewundert, die sonst von den Älteren nur mit leichter Verachtung sprachen. Und wenn Bille mehrere Helfer brauchte, stellte sich der Zottel-Fanclub nur allzu gern zur Verfügung. Caroline, Christine, Oliver und die anderen besuchten inzwischen schon die neunte Klasse und fühlten sich den Neuen gegenüber tatsächlich wie in Ehren ergraute Oldies. Was sie nicht daran hinderte, gemeinsam mit den Jüngeren ihren Spaß zu haben. Und für die Fünftklässler mit ihrem ungezügelten Temperament war ihre Besonnenheit und Disziplin im Umgang mit den Pferden ein gutes Vorbild.
    Bille hatte sich an ihre Rolle als Lehrerin bald gewöhnt, auch wenn es ihr noch seltsam vorkam, nun im Lehrerzimmer ihren Platz neben dem einst gefürchteten Ignaz Albert zu haben. Der Lehrer trug bei den Schülern den Spitznamen „Ignaz der Schreckliche“, auch wenn der tatsächlich zum Fürchten große Mann mit dem gewaltigen Bass ein herzensguter Mensch und einfühlsamer Reiter war. Bille war schon zu ihrer Schulzeit mit dem leidenschaftlichen Pferdekenner ein Herz und eine Seele gewesen. Jetzt fühlte sie sich dem gut dreißig Jahre älteren Kollegen umso mehr verbunden. Ähnlich ging es ihr mit dem Ehepaar Körber, das neben seinen Schulfächern auch Reitunterricht gab und bei den Turnieren in der Umgebung mit von der Partie war.
    Die aufregendsten Erfahrungen waren für Bille die Konferenzen des Lehrerkollegiums, in denen man über die Leistungen der Schüler und ihr Verhalten diskutierte. Gab es Probleme, wurden Herkunft und familiäre Bedingungen beleuchtet und spezielle seelische Belastungen des Betroffenen untersucht, um die denkbar beste Lösung für ihn zu finden. Und die lag oft im Reiten, im Umgang mit dem Pferd und der Verantwortung für diesen Schutzbefohlenen. So konnte Bille immer wieder mit praktischen Vorschlägen zur Diskussion beitragen. Hatte sie sich in den letzten zwei Jahren fast ausschließlich mit der Psychologie des Pferdes befasst , so lernte sie jetzt einiges über die Psychologie des Kindes auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
    Oft musste sie schmunzeln, wenn sie erlebte, wie Dinge, die einem als Schüler schlaflose Nächte bereitet hatten, von den Lehrern verständnisvoll belächelt wurden. Oder wie über gelungene Streiche herzlich gelacht wurde, auch wenn es vorher in der Klasse ein gewaltiges Donnerwetter gegeben hatte. Und immer wieder fiel der Satz: „Als wir in dem Alter waren, haben wir ...“ Und dann folgte die ausführliche Schilderung einer Untat und ihrer Folgen.
    Bille gewöhnte sich daran, von ihren Schützlingen als „meine Klasse“ zu sprechen, auch wenn sie nur ihre Reitlehrerin war. Und

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