Rücksichtslos
wirklich geht.“
Irene Kowatz nickte und verschwand. Karl nahm seine Instruktionen entgegen. Kurze Zeit später war er wieder allein und freute sich auf ein halbe Woche, in der er nicht unter ständiger Beobachtung stand. Allerdings wurmte es ihn, dass sein Boss, der sich auch gern Professor oder Gönner nannte, über ihn redete, als wäre er bescheuert und nicht anwesend. Er wusste, dass er nicht zu den schlauesten Menschen gehörte. Seine einzige Bildung hatte er von seinem Gönner, seinem Ziehvater, erhalten. Und dieser hatte sich bemüht, ihm nicht zu viel beizubringen. Er starrte auf die vor ihm liegende Waffe und schob sie dann in die hinterste Ecke des Tisches. Damit wollte er nichts zu tun haben.
*
Philipp rannte durchs Wohnzimmer und drehte die Lautstärke des Radios auf, das meistens im Hintergrund lief, wenn er allein zu Hause war. Gebannt hörte er dem Sprecher zu und eine kalte Hand legte sich um sein Herz.
„ … der Grüneburgpark wurde großflächig abgesperrt. Dutzende Polizeibeamte sind im Einsatz. Gerade eben fuhr ein Leichenwagen vor. Er musste sich den Weg durch eine Ansammlung von Schaulustigen erkämpfen, genauso wie kurz vorher ein Rettungs wagen und ein Notarztfahrzeug. Was genau passiert ist, ist noch unbekannt. Jedoch wurde die Presse gebeten, zum Schutz der eingesetzten Kriminalbeamten auf Filmmaterial zu verzichten.“
Philipp lief nervös und völlig planlos im Wohnzimmer auf und ab. Eigentlich wollte Katharina nur kurz in den Park, um eine mögliche Zeugin zu treffen. Jetzt waren bestimmt schon eineinhalb Stunden vorüber. Ein Leichenwagen. Hoffentlich war ihr nichts passiert. Als er wieder klarer denken konnte, tippte er hastig die Kurzwahltaste für Katharinas Handy nummer. Es meldete sich lediglich der Anrufbeant worter. Sie hatte es abgeschaltet. Er hastete in den Flur und riss seine Winterjacke aus dem Garderobenschrank. Ein Kleiderbügel fiel auf den Boden, doch er beachtete ihn nicht. Als er das Haus verlassen wollte, läutete das Telefon. Philipp rannte zurück, wobei er beinahe über seine Beine stolperte, und nahm atemlos ab.
„ Katharina?“
„ Nein. Ich bin’s. Jürgen. Jürgen Hagen.“
„ Ich ruf dich später noch mal an. Hab jetzt keine Zeit.“
Er legte auf, rannte aus dem Haus zur Garage, schnappte sich sein Fahrrad und fuhr los. Bis zum Park waren es nur ein paar Minuten. Einige Male rutschte sein Rad auf der mit Schneematsch bedeckten Straße weg, jedoch stürzte Philipp nicht. Vor dem Park war wirklich die Hölle los. Ein Rettungs wagen fuhr eben weg. Doch die freigewordene Gasse wurde sofort wieder von Menschen geschlos sen. Mit dem Rad kam er nicht weiter, weshalb er es an den Gehwegrand stellte und mit zittrigen Händen abschloss. Das alles lief in seinem Unterbewusstsein ab. Handbewegungen, die er beinahe täglich durchführte.
Philipp kämpfte sich rücksichtslos durch. Verrückt. Was die hier alle wollten. An dem rotweißen Absperrband wurde er von einem Streifenbeamten aufgehalten.
„ Stopp. Sie dürfen hier nicht durch!“
„ Ich suche meine Verlobte. Kommissarin Katharina Bergen.“ Seine Stimme zitterte. Der Beamte drehte sich um und benutzte ein Sprechfunkgerät, dann ließ er ihn passieren.
„ Sie müsste dort hinten irgendwo sein.“ Er deutete die Richtung an und Philipp folgte dem Weg. Katharina befand sich im Gespräch mit Thomas und einem anderen Mann, und ihm rutschte ein Stein von der gefühlten Größe eines tonnenschweren Felsbrockens vom Herzen. Die letzten Meter rannte er fast und schloss sie schließlich glücklich in seine Arme.
*
Das Ohr an die dichte Tür gepresst, stand Kira atemlos in ihrem kleinen Zimmer. Über ihr hatte es vor einer Stunde mehrfach gepoltert. Befanden sich dort noch andere Räume? Auch draußen im Flur war es vorhin unruhiger gewesen als sonst. Mehrmals hintereinander war jemand hin und her gelaufen. Durch den kleinen Türspion hatte sie die Gestalten von dieser Frau Kowatz und von dem Großen, diesem Professor, durchrennen sehen. Seit einer guten Viertelstunde war es wieder ruhig. War etwas passiert? Sie dachte mit Unbehagen an die Schreie vor ein paar Tagen und zwang sich mit Mühe zur Ruhe. Verdrängte die schrecklichen Gedanken, die sie dem Wahnsinn nahe brachten. Das Kind in ihr bewegte sich. Wenn Kira richtig mitgezählt hatte, müsste sie jetzt in der vierundzwanzigsten Schwangerschaftswoche sein. Doch je näher der Geburtstermin rückte, je weiter die Zeit in ihrem
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