Rücksichtslos
mehr fassen. Quasi zeitgleich mit Thomas und Alfred bremste er vor Jürgens kleinem Einfamilienhaus. Er sprang aus dem Auto und rannte zur Haustür.
„ Bleib stehen, Philipp! Wir gehen zuerst rein.“
Erst jetzt bemerkte er, dass er vor Wut und Angst zitterte. Alfred legte ihm beruhigend seine Hand auf die Schulter.
„ Hol mal tief Luft, mein Junge. Sonst kippst du uns noch aus den Latschen.“
Philipp fühlte sich wie ein kleiner Junge, der von seinem Vater getröstet wurde. Es tat gut und augenblicklich merkte er, wie sich seine Atemfrequenz und sein erhöhter Puls verlangsamten. Unterdessen hatte Thomas bereits geklingelt, jedoch rührte sich nichts.
„ Auftreten?“, fragte er kurz und nickte mit dem Kopf in Richtung Tür.
„ Ist zu stabil“, antwortete Alfred. „Versuch’s mit dem Dietrich.“
Die Genehmigung dafür hatten sie sich mündlich eingeholt. Feine Nebeltröpfchen hingen in der kalten Luft. Thomas fröstelte, als er das benötigte Werkzeug aus der Innentasche seiner Jacke holte. Er machte sich an der Haustür zu schaffen und beim vierten Versuch klappte es. Zum Glück besaß sie kein Sicherheitsschloss. Er stieß die Tür weit auf, während Alfred mit gezogener Waffe hinter ihm wartete. Vollkommene Dunkelheit herrschte im Inneren des Flurs. Als wäre niemand anwesend. Leise und langsam betraten sie nacheinander das Haus. Philipp sollte draußen warten. Seine Nerven waren zum Zerreißen angespannt, und er bewunderte die scheinbare Gelassenheit der Kommissare. Nach einer gefühlten Ewigkeit holte ihn Alfred wortlos ab und führte ihn ins Schlafzimmer im ersten Stock. Abgestandene Luft schlug ihnen entgegen, und Philipps Magen rebellierte. Die ungewohnte Angespanntheit, die er bei beiden Kommissaren verspürte, als er das Schlafzimmer betrat, setzte seinen Verdauungsorganen noch mehr zu. Thomas öffnete ein Fenster und starrte dabei auf einen Punkt hinter dem Bett. Jetzt erst bemerkte Philipp seinen alten Schulfreund, der zusammengekrümmt und vor sich hin wimmernd auf dem Fußboden lag. Er sah schrecklich aus. Dreitagebart, eingefallene Wangen, stumpfe Augen. Um mindestens zehn Jahre gealtert. Doch Philipp verspürte nur eine unsägliche Wut in sich. Er musste sich beherrschen, sich nicht sofort auf ihn zu stürzen.
„ Wo ist Katharina?“, fragte er mit zusammengepressten Zähnen. Doch Jürgen zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„ Er gibt keine Antwort“, meinte Thomas. „Der ist ein Fall für die Klapse.“
Doch damit wollte Philipp sich nicht zufrieden geben. Er kniete sich neben Jürgen. Eine Mischung aus Schweiß, Urin und schlechtem Atem infiltrierte seine Nase. Angewidert wiederholte er seine Frage. Mit gleichem Resultat. Dann packte er ihn am Hemd und schüttelte ihn durch.
„ Wo ist Katharina?“ Doch wiederum zeigte sich keine Reaktion, weshalb er ihm seine Frage nun ins Gesicht schrie. Damit schien er etwas durchzukommen. Aber nur etwas. Philipp platzte nun der Kragen. Er zog seinen ehemaligen Freund hinter sich her ins Bad.
„ Ihr dürft das nicht machen, aber ich dreh jetzt durch!“
Er war so wütend, dass ihm das Körpergewicht nichts ausmachte. Fünf Minuten später hatte er Jürgen in die Dusche geschunden und drehte den Wasserhahn auf. Eiskaltes Wasser prasselte auf den halb sitzenden, halb liegenden Jürgen Hagen. Doch wider Erwarten kehrte nur langsam Leben in ihn zurück. Aber dann explodierte er.
„ Was soll denn der Scheiß? Das Wasser ist ja eiskalt!“
Empört durchbohrte er die Anwesenden mit Blicken und versuchte aufzustehen. Er rutschte zweimal ab und vergrub dann den Kopf in den Händen.
„ Wir lassen dich mal allein. Wenn du geduscht hast, komm raus. Ich bring dir noch trockene Klamotten . “
Philipp öffnete den Kleiderschrank und zog Unterwäsche, Hose und Pullover raus. Er warf ihm alles ins Bad mit der Bemerkung: „Wir warten unten.“
Etwa eine Viertelstunde später kam Jürgen Hagen ins Wohnzimmer, in dem die beiden Kommissare mit Philipp, auf der dunklen Ledercouch sitzend, warteten. Er sah ziemlich verlegen aus, allerdings sauber und er roch vor allem auch so. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben blieb er im Türrahmen stehen.
„ Was wollt ihr hier?“
„ Wir suchen Katharina“, antwortete Philipp.
„ Wieso bei mir?“
„ Weil sie dich heute Morgen aufsuchen wollte.“
„ Es war niemand hier.“
„ Hat es geklingelt? Hättest du das überhaupt mitgekriegt?“
„ Keine Ahnung. War’s das dann?“ Er wandte
Weitere Kostenlose Bücher