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Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Titel: Rückwärtsleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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sich der Staub um diese merkwürdige, so befriedigend gelöste Affäre endgültig gelegt hatte, kam ich doch ins Grübeln. Hatte Neil vielleicht eine sexuelle Veranlagung überkompensiert, die er leugnen wollte? Vielleicht erklärte das die distanzierte Vorgehensweise bei seiner romantischen Kampagne – seine Art, so respektvoll auf Abstand zu bleiben und beim ersten deutlichen Wink bereitwillig davonzuschleichen –, fast als hätte er nie vorgehabt, Ernst zu machen mit einer Fantasie, in der die klassische Rolle des enttäuschten Liebenden seine wahre (und schuldbeladene) sexuelle Neigung kaschieren sollte. Diese Gedanken, denen ich zu »We Can’t Work It Out« auf einer ansonsten schauderhaften Benefizplatte nachhing, brachten mich auf die Frage, wie wohl Steven zu diesem jüngsten Song stand. Empfand er ihn als beruhigenden Beleg für Neils endgültiges Abtreten von der Bühne, oder las er die unheilvolle Prognose heraus, dass er selbst mehr zum »Sparringspartner« werden musste, um das emotionale Gerangel einer Beziehung zu überleben?
    Doch damit mussten sich die beiden befassen, nicht ich. Allerdings durfte ich vor meinem eigenen Abschied aus Patsys und Stevens Leben noch einen Augenblick des Ruhms genießen. In einer Sendung mit dem Titel Ich überlebte (in der Prominente Einzelheiten über schwere Zeiten verrieten, die sie überstanden hatten, und je nach den dafür bei den Zuschauern erzielten Sympathiewerten Einnahmen für wohltätige Zwecke erhielten) spielte Patsy nicht nur »We Can’t Work It Out«, sondern gab zum ersten Mal auch »Distance Makes the Difference« zum Besten und nannte mich als den Mitverfasser des Stücks.
    Die bestechende Idee einer geistigen Begegnung à la Lennon/McCartney zwischen der Sängerin und ihrem Therapeuten sprach die Vorstellungskraft der Öffentlichkeit an. Eine Weile tauchte ich immer wieder in Zeitungen und der Musikpresse auf und konnte fast jeden Tag neue Ausschnitte nach Hause schicken; in einem Artikel, den Dad überallhin mitnahm und zwei Stunden vor seinem Tod zum vielleicht tausendsten Mal las, gab ein Musikologe aus Yale »Distance Makes the Difference« acht von zehn möglichen Punkten (nur einer weniger als »Hey Jude«). Ich bekam sogar einen Plattenvertrag angeboten, was sich allerdings als Scherz von Richard Aloisi erwies. So war ich über Nacht vielleicht nicht zur Berühmtheit geworden, aber immerhin zum Gesprächsthema.
    Die Schattenseiten des Falls kannte jedoch niemand: wie ich hatte kämpfen müssen, um die Wahrheit herauszufinden, und trotzdem meiner Sache nie hundertprozentig sicher sein konnte; oder wie ich anfing, mit dem Schurken der Geschichte zu sympathisieren und einen unterschwelligen Antagonismus gegen die glückliche Ehe zu nähren; oder wie ich als verhinderter Bodyguard in eine Orgie hineingestolpert war und dabei beschämende Erregung empfunden hatte. Die Menschen hörten nur, dass ich Patsys echte Beziehung gerettet und eine trügerische abgewürgt hatte – wie genau, fanden sie nie heraus, da die Einzelheiten bis jetzt geheim gehalten worden sind. Sicher hätte ich es vorgezogen, wenn die fachlichen Aspekte des Falls mehr in den Vordergrund gestellt worden wären – in einer idealen Welt hätte mir die Entwirrung des Rätsels um Patsys neurologische Vergangenheit mehr Anerkennung einbringen müssen als das Reimen von »mend« auf »friend«. Doch ich hatte mir damit einen guten Ruf bei Künstlern erworben, und das war der Ausgangspunkt für einige grundlegende Fälle meiner Laufbahn. Zudem hatte ich im Lauf der Jahre durch Patsys Erfolge laufend Anlass zu indirektem Stolz.
    Als sie für ihr drittes Album einen bedeutenden Preis erhielt, hängte ich mein persönlich signiertes Exemplar im Büro auf. Wenn meine Patienten fragten, ob mein Name irgendwo im Text versteckt war, musste ich lachen. Niemand wusste, dass ich mir die Platte schon am Tag des Erscheinens gekauft und sie rückwärts abgespielt hatte – nur für alle Fälle.
    7 Der Brief war war mit einem kunstvollen runden Schnörkel nach dem Buchstaben »l« unterschrieben, in den ein fröhliches Gesicht gemalt war.
    8 Erst kürzlich wurde zum Beispiel eine verheiratete Tennisspielerin von einem Stalker belästigt, der den Namen ihres Mannes annahm, Ausweispapiere mit dem Geburtsdatum und -ort ihres Mannes fälschte und mit der Behauptung, dass er der echte Ehemann sei, dem der andere die Identität gestohlen hatte, bei ihr einziehen wollte. Eine Umfrage bei eintausend

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